Tag 05 - Verloren in Luxemburg/ Zugfahrt 1
MI, 5. Juli 2017 – Verloren in Luxemburg/ Zugfahrt 1
Luxemburg – Eupen
Bei den Schulklassen in der Jugendherberge hört man deutlich, dass hier Wert auf die Sprache bzw. den Dialekt gelegt wird. In der Hauptstadt kommt man wie gesagt kaum ohne Französisch aus. Übrigens können ziemlich alle, die Deutsch sprechen, auch Französisch. Umgekehrt gilt dies nicht.
Beim Losfahren um 8:30 merke ich, dass die gestern von Sebastian eingestellte Bremse inzwischen total am Reifen hängt. Ich versuche es selbst, schaffe es nicht und löse deshalb die Bremse. Zurück in die Stadt will ich nicht zum nächsten Radgeschäft fahren, sondern in die nächste Ortschaft. Somit kann ich wenigstens ein paar Kilometer zurücklegen, bevor das Geschäft um 10 öffnet. Für die angeblichen 8 km – die man auch in 6 km fahren kann, benötige ich fast 15 km, also doppelt so lange. Ich verfahre mich zigfach, trotz Erklärung und Weiterleitung auf Deutsch, Französisch und Englisch. Grund dafür ist, dass es verdammt schwer ist, hier weiterzukommen und zu wissen wo man ist. Ortsschilder gibt es an den durchfahrenen Orten an der Bundesstraße nicht, weiterhelfen tun hier nur die Schilder von Sportclubs. Wenigstens komme ich schneller voran als die Autos, die stadteinwärts fahren, hier gibt es einen sehr langen Stau. Immerhin: Mit dem Rad klappt es wieder optimal und ich kann nach einer Viertelstunde Reparatur gegen 10:30 endlich die heutige Tour starten. Die Ursache war ganz simpel: Der Reifen hat sich insgesamt wohl durch die öfter anschlagende Vordertasche schräg gestellt und kam in direkte Berührung mit einer der Bremsen.
Danach kann man die recht ebene Strecke entlang der Alzette sehr gut fahren, es macht Spaß. Sogar die steigenden Temperaturen kann man durch gelegentlichen Schatten gut ertragen. Eine aktive Radlerin (ca. 50) meint, für Radtouren fahre sie immer nach Deutschland, dort gebe es bessere Möglichkeiten. Sie meint, bis in den Norden Luxembugs zu fahren sei sehr schwierig, vor allem müsste ich öfter auf der Bundesstraße fahren und mich nach Clervaux orientieren. Das versuche ich auch, lande dabei aber beinahe auf einem für Radfahrer verbotenen Abschnitt. Es war mir schon davor klar, dass es ab hier schwierig werden würde, denn die Radkarte der Jugendherberge zeigt hier einige Lücken auf dem Weg nach Norden und es sind die auf Google Maps angegebenen Orte gar nicht verzeichnet. In Ettelbruck reicht es mir aber endgültig. Ich habe durch die Probleme mit dem Rad und die vielen Irrwege in der Ortenau, dem Saarland und vor allem Luxemburg keine Lust mehr, mich durch dieses verzweigte Wirrwarr zu kämpfen. Auch durch Fragen kommt man hier nicht viel weiter, es hilft wohl wirklich nur eine sehr präzise Karte. Ich überlege – und das ist ein absolutes Novum auf meinen Reisen – schon nach vier Tagen, wieder heimzufahren. Oder wenigstens mit dem Zug. Ich entscheide mich für letzteres und fahre damit etwa durch ein Drittel des schönen Landes. Dass es für Radfahrer nicht geeignet ist, höre ich in den nächsten Tagen von weiteren Reisenden.
Übrigens grüßen hier einen so gut wie alle Radfahrer und Fußgänger. Ausnahmen sind meistens junge Leute zwischen 10 und 25 sowie Frauen, die ihren Männern hinterherfahren.
In den knapp zwei Stunden Wartezeit setze ich mich in das Restaurant nebenan, mache Notizen und betrachte bei dem sonnigen Sommerwetter, was die Leute so machen. Da ich absolut keine Lust habe, noch ein paar hundert Meter bergauf zu fahren, steige ich nicht direkt nach der Grenze in Belgien aus, sondern fahre über den Umweg Lüttich/ Liège direkt nach Eupen, die gesamte Fahrt dauert genau drei Stunden, fährt über Liège auch einen Umweg. Im Zug merke ich wie so oft, dass Portugiesisch eine der vielen Alltagssprachen des Landes ist.
In Troisverge steigen fast alle aus; direkt danach kommt für einige Meter die belgische Provinz Luxemburg. Nach der Grenze wundere ich mich, dass Belgien so schön ist. Es entspricht ganz und gar nicht den negativen Klischees, die ich bisher hatte. Sehr viele der ländlichen Häuser sind nicht aus Backstein, sondern aus größeren, verschieden großen Steinen gebaut. Die Häuser wirken somit lebendig und angenehm. Überhaupt war mir so gut wie nichts bekannt über dieses Nachbarland Deutschland außer dem Sprachenstreit. Das Land war für mich bisher wie ein blinder Fleck. Durch die Zugfahrt komme ich abends rechtzeitig an, vermisse aber die fließenden Übergänge der Sprachgrenzen.
Dafür erfahre ich Einiges von Sarah. Ich habe sie über Couchsurfing kontaktiert und gleich eine Zusage erhalten - ein Novum für mich. Sie zu finden ist kein Problem, da sie nahe am Bahnhof wohnt. Sie erzählt mir, im deutschsprachigen Ostbelgien (Deutschland musste es 1920 durch den Versailler Vertrag an Belgien abtreten) habe man während der ganzen Schulzeit Französisch als Pflichtfach. Niederländisch würden eher wenige lernen. Aufgrund dessen würden die meisten auch im französischsprachigen Wallonien studieren. Da dies nicht weit weg ist von Ostbelgien, würden viele am Wochenende pendeln. Generell würden eher wenige von hier wegziehen, weder in der Studienzeit noch danach: In Wallonien spricht man eine fremde Sprache, in Deutschland ist man in einem fremden Land.
Wir machen einen langen Spaziergang und Sarah zeigt mir alles Sehenswerte der Kleinstadt.