Tag 114 - Unterirdisch und in der Gruft
SO, 19.07.2015 – Unterirdisch und in der Gruft
Ali Sadr - Hamadan
Ganz wichtig für alle Leser: Was ich hier beschreibe, sind meine Eindrücke und Erfahrungen zum jetzigen Zeitpunkt. Diese können sich je nach Umständen (Ort, Zeitpunkt, Kontakte) grundlegend ändern. So waren die Gegebenheiten (Wetter, Probleme mit dem Rad, Gasfreundschaft) dieser Reise völlig anders als bei meiner Tour im Jahr 2007.
Schnelldurchgang zur Grotte Ali Sadr
Eigentlich war vereinbart, dass ich um 8 abgeholt werde, ich werde aber schon um 7:15 aus dem Schlaf gerissen. Macht nichts, ich habe meine Sachen schon gestern gerichtet und bin schnell bereit. Nun geht es zum grössten Höhlensee der Welt, welche jährlich angeblich Millionen Besucher anzieht. Menschen waren hier schon vor 12.000 Jahren, haben sie nach langer Vergessenheit aber erst 1963 wieder entdeckt. Hier wird man in Tretboote verladen und durch die lange Höhle geführt. Während der kilometerlangen Fahrt gleitet man durch bis zu 40 Meter hohe Wände hindurch. Durch meinen Begleiter zahle ich nur 200.000 Rial für den Eintritt zur Höhle, regulär wären es 700.000 bzw. 25 Dollar. Aber der höhere Preis gilt nur für Touristen, nicht für Iraner. Also fahre ich gut mit meiner Begleitung. Allerdings würde ich ab jetzt gerne alleine weitergehen, um mit dem Boot durch die Wasserhöhle gefahren zu werden. Er begleitet mich aber weiter und erspart mir so einige Wartezeit, da er hier alle Angestellten kennt und schnell durchkommt. Korrekt finde ich das allerdings nicht und bin auch ein bisschen genervt, weil ich lieber selbständig bin. Die Höhle ist auf jeden Fall einen Besuch wert, auch wenn man einige Wartezeit in Kauf nehmen muss. Wie ich gestern schon geschrieben habe, ist das einzige Hotel hier belegt. Deshalb schlafen die meisten auch in einem Zelt. Angeblich ist es auf (den meisten) öffentlichen Plätzen erlaubt zu zelten, was auch oft genutzt wird.
Frauenkleidung im Iran
Von der Dame am Informationsstand erfahre ich Folgendes: Frauen, die vom Staat angestellt sind, müssen das Haar völlig bedecken und schwarze Kleidung tragen. Das ist bei der jetzigen Hitze unerträglich. Bei den Besucherinnen der Grotte sind aber einige dabei, die zwar ein Kopftuch tragen, bei denen man aber das Haar bis zur Kopfmitte sieht und dazu alles Haar, was länger als die Schulter ist. Wenige tragen es auch nur über ihrem zum Zopf gebündelten Haar. Das Klischee, dass hier alle Frauen mit einer Gesichtsverschleierung („Niqab“) herumlaufen, von welchem ich von der Heimat bis weit in die Türkei gehört habe, ist also absoluter Blödsinn. Kleine Mädchen tragen ab und zu Schleier, weil sie einfach wie Erwachsene wirken wollen. Allerdings muss ich auch erwähnen, dass kleine Mädchen (ca. 5) gelegentlich sehr grenzwertige Röcke tragen, die man eher in europäischen Diskotheken vermuten würde.
Autofahren im Iran
Dass es hier sehr viele Verkehrsunfälle gibt, wundert mich nicht. Die Iraner fahren nämlich viel zu nahe an einem vorbei, am meisten fallen hierbei die Fernbusse auf. Und es gibt hier auch noch ein paar PKW-Fahrer, die das nahe Vorbeifahren als Sympathiebekundung sehen. Dazu sind sie selten angeschnallt. Wer hier also zu weit rechts fährt, kann sich gleich ein Grab schaufeln. Hier muss man noch eher als auf den bisher von mir gefahrenen Strecken mittig fahren. Kinder sitzen oft zwischen Brust und Lenkrad eingeklemmt oder lehnen sich weit aus dem Fenster heraus. So sind wir gestern nach dem Essen im Familienpark vorne zu dritt gesessen, hinten zu dritt und zwei Kinder obendrauf.
Die Autofahrer schreien einen hier nicht wie in den letzten Wochen an, sie rufen einem etwas zu, und meistens sehr angenehm.
Kurze, aber anstrengende Fahrt nach Hamadan
Eigentlich freue ich mich auf die Fahrt nach Hamadan. Denn ich weiß, dass sie kurz sein wird. Doch es ist anstrengend, nicht aber wegen Temperatur oder Gebirge. Sondern wegen dem sehr starken Verkehr an diesem Feiertag. Man sollte also nie zum Ende des Ramadan in islamische Länder fahren. Denn dann ist das Fest des Fastenbrechens und es ist - wie heute - gerammelt voll auf den Straßen. Deswegen habe ich schon jetzt Befürchtungen wegen dem Verkehr in und vor allem vor der Metropole Isfahan.
Es gibt keinen Seitenstreifen, nur einen breiter Sandstreifen, ich muss also fast die ganze Strecke auf der rechten Spur fahren. Deswegen fluche ich ziemlich oft. Eigentlich schade, denn ich habe bisher einen sehr guten Eindruck von den Iranern und hinterlasse als Tourist einen schlechten, aber ich muss die Wut einfach rauslassen. Die Felssprengungen sehen hier endgültig wie in der Türkei aus. Schatten gibt es auf dieser Strecke erst gegen Schluss, Sichtschutz sowieso nicht. Dafür werde ich als Tourist überall angeglotzt. Bisher war das im Iran in Ordnung, aber hier sind es die Massen, die mich stören. Bekanntschaften mache ich auf der heutigen Tour auch keine guten. Laut einem jungen Mann gibt es einen guten Grund, Hitler gut zu finden: "Er war ein guter Diktator". Zwischendrin muss ich bei der Verkehrspolizei anhalten. Nicht, weil ich oft geflucht habe, sondern weil die einfach wissen wollen, wo ich herkomme. Etwa 10 Kilometer vor Hamadan kann ich endlich gemütlich auf einem Seitenstreifen fahren. Und es regnet nach langer Zeit wieder, was ich bei der Hitze sehr angenehm finde.
Nette Bekanntschaften in Hamadan
Wie erwartet komme ich recht früh in Hamadan an. So kann ich mir endlich mal Zeit lassen, die etwa 4.000 Jahre alte Stadt an meinem Ankunftstag kennen zu lernen. Viel ist allerdings nicht alt in dieser Stadt, da sie zigfach von Heeren erobert und zerstört wurde. Dafür ist sie zentral gestaltet: In der Mitte ist der Imam-Chomeini-Platz, an dem man unweigerlich vorbeikommt. Darum herum ist die Stadt ringförmig gestaltet. Innerhalb des ersten der drei Ringe befinden sich fast alle Sehenswürdigkeiten.
So fahre ich zum Mausoleum von Baba Taher, einem persischen Dichter, der vor gut 1000 Jahren gelebt hat. Bevor ich es betrete, ruhe ich mich vor dem Eingang erst mal aus, ziehe die lange Hose an und genieße es, hier zu sein. Dabei kommt es zu vielen Begegnungen. Leute sprechen mich an und wollen Fotos mit mir machen. Inzwischen bin ich das beinahe gewohnt und finde es heute sogar angenehm. Ich bin hier zwar fremd, aber sehr willkommen. Im Mausoleum selbst spricht mich ein junger Mann auf Deutsch an. Er kommt aus Bremen, seine Mutter ursprünglich aus Teheran. Sie und einige weitere verwandte Frauen sind gerade hier im Urlaub.
Weiter geht es, vorbei an der Jame-Moschee und dem Mausoleum des Gelehrten Avicenna/ Ibn Sina, der ebenfalls vor 1000 Jahren die Zeit geprägt hat. Ich bin auf der Suche nach Kami, den ich auf einer Internetseite für Radfahrer kennen gelernt habe und bei dem ich übernachten kann. Mit den Adressen ist es hier übrigens wie in der Türkei: meistens können weder das Internet noch Personen etwas damit anfangen. Da werden ganze Zeilen vollgeschrieben, was aber nicht weiterhilft. Da ist das mir bekannte System viel einfacher: Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Ort.
Unterkunft bei Kami
Kami spricht sehr gut Englisch. Wir unterhalten uns über unsere Beobachtung, dass Smartphones Menschen, die weit voneinander entfernt sind, näher zusammen bringt. Diejenigen aber, die sich nebeneinander befinden, entfernt es voneinander. Beim gemeinsamen Essen zum Beispiel. Bei Familienessen, wie ich sie in Restaurants erlebe, sind es übrigens meistens die Männer, die sich mit ihren Fernbeziehungen beschäftigen. Sein Traum für später ist übrigens genau das, was ich gerade mache: eine Reise mit dem Velo um die Welt oder wenigstens Teile davon. Er richtet ein Abendessen für uns und gibt mir einen Wohnungsschlüssel, mit dem ich morgen ein- und ausgehen kann wie es mir passt. Ein sehr angenehmer Gastgeber, mit dem ich mich ungezwungen über das Land, das Leben und Politik unterhalten kann. Und er ist interssiert an deutschsprachiger Musik, weswegen ich ihm einige Links mit unterschiedlichsten Musikrichungen schicke.
Über die Iraner
Manche Iraner sagen, dass sie sich Touristen gegenüber aufgrund der vielen Vorurteile des Westens erst recht positiv verhalten wollen. Das glaube ich aber nicht ganz. Die Freundlichkeit der Iraner kommt von ganz tief innen, vom Herzen. So spontan ist keine aufgespielte Gastfreundschaft. Ich bin der Ansicht, dass sie – ähnlich wie manche ihrer Nachbarländer – eine Kultur der Wertschätzung haben, die auch sehr den Fremden und Nächsten gilt. Etwas, das ich als Reisender in Deutschland und dem sonstigen Westen zwar erlebt habe, aber bei weitem nicht so oft und stark wie hier. War da nicht etwas mit Nächstenliebe, christlichem Abendland und westlichen Werten? Stattdessen lese ich in den Nachrichten in letzter Zeit mehrmals wöchentlich von Anschlägen auf Flüchtlingsheime in Deutschland. Und das nicht nur im Osten. Obwohl das natürlich nur die negativen Schlagzeilen sind – genau wie die über den Iran seit 1979. Auf jeden Fall macht es wirklich Spaß, hier unterwegs zu sein. Man kann hier permanent Kontakte knüpfen, ich fühle mich hier kein Stück fremd. Und viele Gesprächspartner sagen ungefragt von sich aus, dass sie die Politik des Landes schlecht finden.
Video
Hier ein Video aus der Ali-Sadr-Grotte.