Tag 105 - Totestes aller toten Meere
FR, 10.07.2015 – Totestes aller toten Meere
Urmia – Urmia
Stadtrundgang
Freitags ist im Iran Ruhetag. Also ein guter Grund, noch mal gut auszuschlafen. Zusammen mit Amin gehe ich durch die Stadt. Traditionellerweise laufen am heutigen al-Quds-Feiertag Kundgebungen gegen die USA und Israel. Wir bekommen dies aber nur über die vielen Lautsprecher mit, die ihrem Namen volle Ehre geben. Amin zeigt mir einige wichtige Gebäude und erklärt mir die Lage – und welche man fotografieren darf. Gestern war er mit der französischen Touristin in der Marienkirche, heute werden wir aber vom Hof dieser Kirche geschickt. Man wolle den Platz für sich alleine haben, sagen uns die jungen Assyrer. Dass ich Kirchen nicht betreten darf, habe ich schon erlebt. Dass man mich aber sogar von den Vorplätzen scheucht, das kenne ich bisher nicht.
Völlig übereinstimmen kann ich mit Amin über die Wasserverschwendung, die auch hier stattfindet. Zwar nicht so hoch wie in der Türkei, aber trotzdem offensichtlich. Seit einiger Zeit wird der Wasserkonsum beschränkt und ab einem bestimmten Betrag muss man höhere Kosten zahlen. Da hier wie gesagt Feiertag ist, finden wir keine geöffnete Wechselstube. Es fällt mir nur ein, noch mal zu dem Hotel zu gehen, in dem ich die erste Nacht verbracht habe und in dem ich mit Beihan einen sehr guten Kontakt hatte. Vielleicht kennt er ja eine Möglichkeit hierfür. Er bietet mir aber direkt einen Wechsel an. Natürlich als Ausnahme, weil heute Feiertag ist und weil ich wirklich nur noch so wenige Rial habe, um damit vielleicht gerade noch eine Flasche Wasser zu kaufen. Mit dem Wechselgeld lade ich Amin hier gleich zum Mittagessen ein.
Über den Iran
Viele bestätigen mir, was ich schon aus anderen iranischen Quellen erfahren habe: die meisten Bürger des Landes sind offiziell Moslems (99%), aber eben nur offiziell. Denn würden sie dem Glauben absagen, welcher zum Beispiel bei Bewerbungen an staatlichen Dienststellen abgefragt werden kann, erhalten sie sicher keine Stellen, es droht ihnen im Extremfall sogar die Todesstrafe. Christen, Juden und Bahai brauchen sich um diese Stellen also schon mal gar nicht zu bewerben, die haben ohnehin keine Chance. Sie sind hier nicht gleichgestellt, aber immerhin anerkannt.
Geld und Beziehungen bzw. Korruption spielen hier wohl noch eine viel bedeutendere Rolle als noch vor 10, 20 Jahren: Letztere habe enorm zugenommen, eine Entwicklung, die ich auch in anderen Ländern dieser Tour mitbekommen habe. Wenigstens kann man in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern sagen, was man denkt, ohne damit lebensbedrohende Probleme zu bekommen. Hier geht das nicht. Aber immerhin hat man hier den positiven Aspekt der Demokratie und der Frauenrechte. Ein guter Anfang ist also gemacht. Und ich habe das Gefühl, dass hier sehr viele Leute noch Einiges mehr an Potential haben: Sie wollen nur arbeiten, in Freiheit leben, problemlos reisen können. Ich kann da erst mal keinen großen Unterschied zu mir, meinen Freunden und „meiner Gesellschaft“ erkennen. Überhaupt kommen mir viele Probleme bekannt vor von daheim. Nicht von heute, aber vor wenigen Jahren, Jahrzehnten hat dort auch sehr viel anders ausgesehen (Wohnungssuche für unverheiratete Paare, Stand von Homosexuellen, berufstätige Frauen, selbstbestimmte Lebensplanung, freie Meinungsäußerung, Umgang mit der Umwelt, Religionsfreiheit, und so weiter).
Fahrt zum totesten aller toten Meere
Da ich schon hier bin, wenn auch nicht geplant, will ich auch beim Urmiasee vorbeischauen, also einen Ausflug in den Norden machen. Kurz vor der Brücke kann man den See riechen, allerdings kann man ihn nicht sehen. Er ist einfach nicht da. Besonders tief war er nie, dafür zehn Mal größer als der Bodensee. Mehrere Leute sagen mir, dass er in den letzten 10-12 Jahren verschwunden sei, ich also etwas zu spät komme. Davor gab es Flamingos und Wälder auf den einst 102 Inseln, von denen ich keine einzige entdecke. Der ehemalige Salzgehalt von 20-30%, was dem des Toten Meeres entspricht, wird inzwischen noch höher sein. Ich fahre nur ein wenig auf die Brücke bzw. den Damm hinaus, weiter will ich gar nicht.
Zurück in der Wohnung
Am Abend ist es noch dringend notwendig, Wäsche zu waschen. Da es keine Maschine gibt, erledige ich dies von Hand. Da es sehr warm ist, wird sie morgen früh bestimmt getrocknet sein, ich hänge sie im Innenhof auf. Laut Amid gibt es von dem Haustyp, in dem er noch zwei weitere Wochen wohnt, kaum noch welche, die meisten wurden in den letzten Jahren abgerissen. Er sagt mir, die Brillengläser vom deutschen Hersteller Zeiss seien die besten, hier in Iran allerdings sehr teuer. Dies weiss er, da er mal in einem Brillengeschäft gearbeitet hat. Wenn er ein Visum erhält, würde er in ein paar Jahren auch sehr gerne reisen, am besten nach Europa, besonders nach Frankreich und Deutschland. Im Irak war er zuletzt vor zwei Jahren. Zu dieser Zeit wäre ich auch noch in den Norden gefahren, momentan ist es aber zu gefährlich.