Tag 104 - Erste Nutzung von Couchsurfing

DO, 09.07.2015 – Erste Nutzung von Couchsurfing

Urmia

 

Urmia (Orūmīyeh)

Hier leben vor allem Aserbaidschaner, die sich selbst oft als Türken bezeichnen. Vor 100 Jahren haben die Christen hier noch fast die Hälfte der Bevölkerung ausgemacht, kamen aber durch den Völkermord vor allem an den Assyrern und Aramäern durch Türken, Kurden und Perser um. 

Die Stadt war vor gut zehn Jahren im Sommer noch kühler als heute, doch der Urmiasee trocknet seit Jahrzehnten mehr und mehr aus, was vor allem an den Stauungen der Zuflüsse und der Bewässerung der Landwirtschaft liegt. Vor 6-7 Jahren gab es eine Demonstration gegen den Bau der Brücke über den See, welche Urmia mit Täbris verbindet. Dabei gab es einige tote Demonstranten und Verletzte. Die Regierung hatte damit ihr Ziel erreicht, die Leute genügend einzuschüchtern.

 

Frauen in Urmia

Alle Frauen tragen hier wie im ganzen Land eine Kopfbedeckung, sei es Kopftuch, Hijab oder Tschador. Aber nicht, weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Das ist der Unterschied zu vielen anderen Ländern, in denen Muslima ihr Kopfhaar verdecken. Dort entscheiden sie sich aus verschiedenen Gründen, oft auch selbst dafür. Allerdings tragen hier die meisten Frauen die Kopfbedeckung weit zurück, oft hinter der Kopfmitte. Generell machen die Frauen hier einen selbstbewussteren Eindruck auf mich als in der Türkei. Allein schon, dass hier im Hotel gleich viele Frauen wie Männer arbeiten, macht den großen Unterschied aus.

 

Warten im Hotel

Heute will ich noch nicht weiterfahren. Ich bin jetzt endlich im Iran und mache meine Pausen nun freiwillig und spontan. So schlafe ich nach dem Frühstück immer wieder und stehe letztendlich erst um 12 auf – mein Zimmer muss erst um 14 Uhr geräumt sein. Mit dem Hotelmitarbeiter Beihan habe ich lange und sehr angenehme Gespräche über unsere Länder, die Menschen, die Kommunikation. So fragt er mich auch nach meiner Facebook-Adresse – einer Seite, die im Land legal nicht zugänglich ist. Im Eingangsbereich des Hotels befindet sich übrigens ein Bild mit dem Abendmahl Jesu. Deswegen frage ich, ob die Besitzer des Hauses christlich seien. Er verneint und sagt, dieses Bild sei für christliche Gäste wie mich. Bis am Abend kann ich im Warteraum des Hotels bleiben, welches sich übrigens hinter der Sardar Moschee befindet. Zwischendrin gehe ich noch auf dem bunten Markt einkaufen.

 

 

Erste Nutzung von „Couchsurfing“ auf einer Tour

Mit der Gastfreundschaft in Bezug auf Übernachtung ist es bisher wieder nichts. Ein Rennradfahrer (ca. 22) hätte mich gestern theoretisch einladen könne, als ich ihn nach dem Weg zu einem Hotel gefragt habe. Aber weder er noch sonst jemand kam auf die Idee. Deshalb beschließe ich entgegen eigenen Idealen, es doch über Warmshowers und Couchsurfing zu probieren, da ich nicht weiter im Hotel bleiben will. Bisher habe ich besonders Couchsurfing gemieden, weil ich schlechte Erfahrungen damit gemacht habe. Wenn man nämlich direkt hintereinander auf zwei Zusagen zwei Absagen erhält, macht das keinen verlässlichen Eindruck. Deshalb habe ich diesen Weg auf keiner meiner bisherigen Touren eingeschlagen. Weil ich aber keine Lust mehr habe, nur in Hotels unterzukommen und fast nur andere Touristen kennenzulernen, schlage ich diesen Weg ein.

So treffe ich auf Amin (26), der mich abends kurz vor 9 im Hotel abholt. Seine Muttersprache ist Kurdisch, dann kam die hier bedeutendere Sprache Aserbaidschanisch dazu, ab der Schulzeit die Staatssprache Persisch. Sein Englisch ist ebenfalls sehr gut und seit einigen Wochen lernt er Französisch, von dem im Persischen ohnehin schon viele Ausdrücke haften geblieben sind. Als Weiteres hat er vor, Deutsch und danach Russisch zu lernen. Er und seine Freunde unterhalten sich oft in einem Mix aus den ersten drei Sprachen. Dies zeigt erneut, in welchem Multikultigebiet ich mich hier befinde. Dabei ist zu bedenken, dass seit dem Völkermord an den Assyrern und Armeniern im Jahr 1915 eben diese fehlen. Vor zwei Wochen hat er sein Studium von Englisch und Psychologie beendet. Eine Arbeit als Lehrer lohnt sich seiner Meinung nach aber nicht, dazu verdient man hier zu wenig. Momentan arbeitet er in einem Büro. Bevor wir uns abends treffen, hat er einem französischen Mädchen die historischen Plätze der Stadt gezeigt. Zusammen gehen wir in seine Wohnung, sein Bruder ist auch gerade da. In zwei Wochen wird er umziehen, was für Singles oder unverheiratete Paare wohl nicht sehr einfach ist. Ausser man hat genügend Geld oder Beziehungen, dann geht alles.

Wir tauschen uns über das Familienleben aus, wobei er von seiner Großmutter erzählt, die einen großen Gemüsegarten hat, mit dessen Erträgen sie das ganze Jahr über auskommt. Ein Freund von ihm ist nach 17 Jahren vor seinem Vater von England  in den Iran gebracht worden, nach wenigen Jahren aber illegal dorthin zurückgekehrt. Ich frage ihn natürlich nach dem Taroof, einer iranischen Art der Höflichkeit, bei der man gewisse Regeln beachten muss. So sollte man freundliche Angebote erst nach dem dritten Mal ernst nehmen. Bei ihm ist das einfacher: Was er sagt, meint er auch so. Eine gute Möglichkeit, damit es nicht zu Missverständnissen und Konflikten kommt.

 

Zum Iran

Heute Nacht wird hier gefeiert. Denn morgen ist der letzte Freitag des Ramadan, im Iran ist dies der al-Quds-Tag, ein Feiertag. Die Moscheen sind deshalb nachts durchgehend geöffnet. Es werden alle Sünden vergeben, wenn man lange genug betet. Morgen wird dann gegen Israel und die USA demonstriert.

Alkohol ist völlig verboten. Für Alkoholbesitz oder –handel gibt es weitaus härtere Strafen als für sonstige illegale Drogen. Es gibt allerdings alkoholfreies Bier. Und soweit ich weiss, kann ein Bier nicht zu 100% alkoholfrei sein. Wer sich also schnell ein paar Flaschen von diesen Bier hintereinander gönnt, sollte eigentlich schon etwas vom Alkohol spüren.

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 07 Sep 2016 19:48:05

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