Tag 077 - "Hello. Money, money!"
FR, 12.06.2015 – "Hello. Money, money!"
Karadut – Diyarbakır
Wieder zurück auf die Hauptstrecke
Beim Aufstehen geht es mir gut, die feuchte Mütze hat sich gelohnt. Das Frühstück ist so vorzüglich wie das gestrige Abendessen. Allerdings bin ich mit dem Wasser nicht zufrieden – es hat die Temperatur von heißem Tee. Ich muss also 15 Minuten warten, bis ich davon trinken kann. Haben die hier kein Gespür für die Temperatur von Getränken? Allerdings geht mir das daheim genauso. Und in England muss ich bei frisch gezapftem Bier auch eine Viertelstunde warten – es ist so kalt, dass meine Zähne schmerzen.
Ich muss heute Diyarbakır erreichen; denn sonst wird es nichts mehr mit der Einreise nach Aserbaidschan. Und in den letzten Tagen hat sich alles noch mehr verzögert durch sehr starken Gegenwind und den Sonnenstich. Anders als gewünscht finde ich keinen Bus, der mich die 12 Kilometer zurück an die Hauptstrecke bringt. Aber egal, es gibt nur zwei, drei kurze Steigungen, für die ich aber nicht wie gestern absteigen muss. Endlich wieder zurück an der Reiseroute!
Vorbei an ungezogenen Kindern über die gerade eröffnete Brücke
Die Fahrt ist gut machbar, aber in den zwei Dörfern vor dem angeblichen Fährschiff sind die Kinder schlecht erzogen. Sie rufen einem aus der Ferne zu „Hello. Money, money!“. Das erinnert mich an meine erste Reise in die Türkei 2003. Damals war ich in der Nähe von Konya auf dem Land und die Kinder haben sich ähnlich verhalten. Als ich ihnen kein Geld gegeben habe und aus dem Dorf zur nächsten Bushaltestelle gelaufen bin, sind sie mir hinterhergerannt und haben mich mit Steinen beworfen. Und ich kann nicht schnell rennen, sie dafür umso besser werfen. Zum Glück kam mir ein älterer Mann entgegen, der die Kinder für kurze Zeit angehalten hat, so dass ich mich entfernen konnte. Heute suche ich auch so schnell es geht das Weite, was bei den Steigungen hier aber nicht so einfach ist. Wenigstens sind hier auch Erwachsene, die mir helfen könnten. Ehrlich gesagt habe ich an solchen Orten wirklich Angst vor den Kindern. Wenigstens werfen sie - noch - keine Steine.
Die laut Karte und Straßenschildern angekündigte Fähre über den Atatürk-Staudamm bzw. Euphrat gibt es nicht mehr. Inzwischen steht hier eine Brücke, die „Nissibi Köprüsü“, welche erst am 21. Mai eröffnet wurde.Zwischendrin grüßt mich eine Frau laut und erfreut, obwohl sie gerade mit ihrem Mann auf dem Feld beim Gebet ist. Auch sonst grüßen mich heute recht viele, vor allem im Vergleich zu den Tagen zuvor. Inzwischen nerven mich die Steigungen und die paar Strecken abwärts dazwischen ziemlich. Die Landschaft ist interessant, bietet aber nicht viel Neues für mich und es ist ziemlich heiß.
Busfahrt nach Diyarbakır und verbotene Bar
Wie geplant nehme ich ab Siverek den Bus nach Diyarbakır, der Kurdenmetropole. Erstens bin ich im zeitlichen Verzug und zweitens habe ich keine Lust, noch mal einen Hitzschlag zu riskieren. Zum Glück liegt der Busbahnhof etwas vor der Stadt und ich fahre direkt auf ihn zu. Am Schalter wird mir gesagt, ich müsse noch eine Stunde auf den Bus warten, aber fünf Minuten später packe ich schon meine Sachen ein. Die Landschaft zwischen hier und dem etwa 86 Kilometer entfernten Busbahnhof Diyarbakır bietet nichts Sehenswertes. Was bei der heutigen Strecke aber auffällt, sind die extrem vielen Schafherden. Ebenso ist offensichtlich, dass Türken – wie auch Araber – bei ihren Busfahrten hauptsächlich Decken und Teppiche transportieren.
In Diyarbakır angekommen, geht es noch 10 Kilometer bis ins Zentrum. Kurz davor frage ich eine Radlergruppe von zehn jungen Leuten nach dem Weg. An der Stadtmauer angekommen frage ich drei junge Leute (ca. 25-35), wobei zwei aus Diyarbakır kommen und einer aus Paris. Gerade habe ich viel Negatives über die Sicherheit in der Stadt gelesen und ich habe ein wenig Angst, hier abends noch auszugehen. Und das, obwohl ich schon zwei Mal hier war und obwohl ich solch weite Touren alleine mache. Bis 2002, also ein Jahr vor meinem ersten Besuch, galt hier 15 Jahre lang der Ausnahmezustand. Das hatte aber nichts mit Diebstahl, sondern mit der Behandlung der Kurden durch die türkische Regierung zu tun. Schließlich begebe ich mich, von meinen drei Gesprächspartnern begleitet, ins Viertel Sur. "Sur" bedeutet auf türkisch Stadtmauer und steht für den alten Stadtteil, der von ihr umschlossen wird. Im Hotel Malkoç treffe ich drei Amerikanerinnen (ca. 25), die in Istanbul Türkisch studieren und gerade eine Reise durchs Land machen. Sie können mir aber auch nichts Bestimmtes zum Ausgehen empfehlen. Ich könne sonst aber zu früherer Stunden sehr gut ins Viertel Ofis gehen, dort gebe es einige Bars und Lokale, in denen sich Studenten treffen.
Schließlich werde ich von einem Hoteljungen ein paar Meter entfernt zu einem Kiosk geführt, welcher versteckt hinter den Getränkekästen einen Durchgang zu einem kleinen Raum hat, wo einige Männer ihr Bier bzw. Raki trinken. Ich setze mich neben einen Mann (ca. 55), der nicht so ganz weiß, wohin er gehört: Erst meint er, er sei kein Kurde, sondern Türke. Dann ist er Zaza. Das würde ja noch passen, aber auf ein Mal ist er Engländer, was bei seinem hundsmiserablen Englisch gar nicht passt. Und plötzlich ist er auch Deutscher und Russe. Nach einem Bier habe ich genug und gehe auf dem Rückweg noch gut essen.
Das geplante Ziel für heute ist erreicht. Ich bin jetzt übrigens zum dritten Mal in Diyarbakır und es folgen mit Batman, Hasankeyf und Van Orte, die ich ebenfalls schon mal besucht habe.