Tag 050 - Bordell: Diebstahl Nr. 1/ Problem mit Visakarte Nr. 2
SA, 16.05.2015 – Bordell: Diebstahl Nr. 1/ Problem mit Visakarte Nr. 2
Istanbul
Ich habe mir eine Zeit lang überlegt, ob ich diesen Tagesbericht veröffentlichen soll. Dies tue ich nun aus folgenden Gründen: 1.) als Teil eines Erfahrungsberichtes 2.) als kleine „Bestätigung“ für diejenigen, die mich vor solchen Reisen warnen 3.) als Hinweis bzw. Warnung für alle, die nach Istanbul reisen.
Zuerst aber zum „normalen“ Teil des Tages: Am Morgen mache ich zwei Routen auf der „Big Bus Tour“, die rote und die blaue. Auf dem oberen Deck sitzend, habe ich einen guten Ausblick auf viele Sehenswürdigkeiten und komme auch für ein paar Minuten auf die asiatische Seite der Stadt. Besonders fällt auf, dass die Straßen hier üppig durch Fähnchen geschmückt sind, da am 7. Juni Parlamentswahlen stattfinden.
Nacht im falschen Club
Die Ausgehtipps für die Gegend um den Taksimplatz, die ich mir am ersten Abend bei der Rezeption geholt habe, befolge ich nicht. Es ist mir einfach zu viel. Da in meinem Viertel heute Abend, obwohl Samstag ist, wirklich nichts los ist, will ich nach einer kleinen Radtour noch ein bisschen rumlaufen, um vielleicht doch noch in Kontakt mit Leuten von hier zu kommen. Dabei treffe ich einen Türken (ca. 30), mit dem ich ins Gespräch komme und der meint, in eine Bar im nahen Viertel Aksaray zu gehen, in dem nur Leute vom Ort seien. Das ist genau mein Wunsch. So frage ich ihn nach einem kurzen Gespräch, als er gerade gehen will, ob ich bei ihm mitfahren könne. Ich steige bei ihm ins Auto ein und wir fahren ein paar Minuten, holen noch einen Freund von ihm ab, um dann in eine Kellerbar zu gehen. Glaube ich zumindest. Dort können wir uns in dem vollen Club ziemlich schnell an einen freien Tisch setzen. Und tatsächlich sind die Männer hier so ziemlich alle aus der Türkei. Die vielen Frauen aber nicht. Sie sind fast alle aus Osteuropa und Asien, eine angeblich aus Deutschland. Die hohe Anzahl an Bedienungen irritiert mich. Vor allem, dass unser Tisch nach nicht mal einer Minute vollgedeckt wird mit vielen kleinen Tellern mit Früchten. Dazu kommen einige Damen und mit ihnen eine Flasche Raki. Ich spreche den jungen Mann an und sage, dass ich keinen Raki will, dass ich das Essen nicht bestellt habe und wissen will, wer das überhaupt bezahlen soll. Schließlich ist es dann ziemlich offensichtlich, dass ich hier in einem Puff gelandet bin. Wenn nicht alles so schnell gegangen wäre, wäre ich schon beim Eingang mit der Beschriftung „Rio Night Club“ skeptisch geworden. „Normale“ Clubs gebe es in diesem Viertel angeblich nicht, dafür müsse man nach Taksim gehen, sagt mein Begleiter. Dies wird mir später von anderen – glaubwürdigen – Personen – bestätigt. Allerdings sind dort ebenfalls viele Touristen. Wie ich später erfahre, ist Istanbul, speziell das Viertel Aksaray, eine Hochburg der Prostitution.
Für die zwei Bier, ein paar Stückchen Erdbeere, Melone und Gurke sowie total versalzene Paprikakerne muss dann jeder von uns einige hundert Türkische Lira zahlen. Vorsichtshalber nehme ich abends generell nicht viel Geld und auch keine Kreditkarte mit. Leider bin ich nun viel zu gutgläubig, lasse mich von ihm zum Hostel bringen und hole meine Kreditkarte, um meine Schulden zu begleichen. Zusammen fahren wir zu einem Automaten, wo ich das Geld abhebe. Jedenfalls vollziehe ich die ersten Schritte. Mein Begleiter steht aber auf ein Mal neben mir und drückt sehr schnell auf das Bedienungsfeld und nimmt das Geld aus dem Automaten. Ich bitte ihn, mir den Betrag zu zeigen, da ich ihn nicht genau gesehen habe. Nach über einer Minute Diskussion – ich könne das Geld seiner Ansicht nach unter Umständen ja für mich behalten – zeigt er mir das Geld und es ist genau der vereinbarte Betrag. Allerdings hat er, wie ich am übernächsten Tag herausfinde, einen deutlich höheren Betrag abgehoben und während der kleinen Diskussion den Rest in seiner hinteren Hosentasche verschwinden lassen. Wie ich bei meiner Weiterfahrt mitbekomme, nennt man diese Diebe „Tırnakçı“. Das sind Leute, die etwas – meist Geldscheine – durch ihre Fingernägel fallen lassen (tırnak = Fingernagel), ohne dass man es merkt. Ich weiß nicht, vielleicht haben sie mir was ins Bier getan, aber ich kann mich noch an alle Vorgänge sehr gut erinnern. Und der erste Mann hat auf mich einen ehrlichen Eindruck gemacht. Am Schluss hatte er immerhin den Anstand, mir ausreichend Geld für die Heimfahrt mit dem Taxi zu geben. Der Diebstahl wird mir erst übermorgen klar. Im Nachhinein wäre ich sehr dankbar, wenn die Visakarte heute nicht funktioniert oder ich den Code vergessen hätte.
Resultat
Ich bin nun schon zum dritten Mal in Istanbul. Bisher hatte ich hier nie Probleme und auch von anderen nichts Schlechtes erfahren. Dieses Jahr sieht es aber anders aus: Keine zehn Minuten nach der Ankunft ist mir ein Verkäufer zu nahe gekommen, passiert ist dabei aber nichts. Kioskverkäufer haben – wie ich später erfahren habe – den doppelten Preis von mir verlangt. Und den Taxifahrern soll man hier auch nicht vertrauen, wie ich aus betroffener Quelle erfahren habe. Auch bei ihnen gibt es sehr viele „Tırnakçı“. Entgegen den Vorbehalten gegenüber Minderheiten von Seiten vieler Türken, die ich getroffen habe, muss ich betonen, dass die Diebe weder Syrer, noch Kurden oder Roma waren. Und ich gehe einfach mal davon aus, dass sie auch nicht zu den Minderheiten der Christen oder Juden gehört haben. Sie waren einfach „Durchschnittstürken“. Bei der Anzahl an Türken, die ich bisher getroffen habe, sind allerdings auch sie eine Minderheit. Ich gebe also auch weiterhin - ausser in Istanbul - einen großen Vertrauenvorschuss in der Türkei.
Generell kann ich nur Folgendes empfehlen
- wenig Bargeld und keine Kreditkarte mitnehmen
- nicht den Leuten trauen, die einen an einem Geldautomaten (z.B. dem am oberen Ende der Mimar Mehmet Ağa Caddesi) oder sonst wo ansprechen. Erst recht nicht reagieren, wenn sie einen auf deutsch ansprechen. Wenn man darauf reagiert, wird nämlich gleich vermutet, dass man viel Geld hat. Am besten, man gibt sich – falls man reagieren muss – als Franzose oder Tscheche aus. An denen haben die Diebe angeblich selten Interesse, wie ich von entsprechenden Staatsangehörigen erfahren habe.
- nicht in Touristenviertel gehen
- nicht nach Istanbul gehen.
Heute ist der fünfzigste Tag dieser Reise. Bisher habe ich mit etwas Vorsicht immer den Leuten vertraut, mit denen ich in Kontakt gekommen bin. Heute ist es mal schief gelaufen, und zwar gewaltig. Soll ich jetzt, wie mir vor und während der Reise oft gesagt wurde, keinem mehr trauen? Das wäre ein ziemlich hoher Preis. Ich mache weiter wie bisher, halte mich aber von Großstädten, den dortigen Touristenvierteln und dem Nachtleben fern. Ich bin mal gespannt, wie es im seit zwei Jahren immer mehr Touristen anziehenden Iran wird.
Bisherige Erfahrungen mit Diebstahl
Wenn ich schon dabei bin, will ich dazu noch Weiteres von meinen bisherigen Erfahrungen mit Diebstahl berichten bzw. Ratschläge geben:
An alle, die meinen, so eine Reise wäre gefährlich, wenn man sie alleine und in abgelegene Gebiete macht: ich war schon viel auf verschiedene Arten in verschiedenen Ländern unterwegs. Die definitiv gefährlichsten Orte waren für mich Barcelona und Istanbul. Orte, die sehr viele Touristen anziehen, haben die gleiche Sogwirkung auf Betrüger. In kleinen Dörfern der Ukraine, der Türkei oder Jordaniens passiert so etwas nicht.
- Barcelona: als Mann nicht alleine auf der Rambla und Umgebung rumlaufen, vor allem nicht nachts, wenn die Prostituierten auf der Straße sind. Lehnt man deren Angebote ab, kriegt man schnell eins hinter die Ohren. Wenn man hier schon unterwegs ist, dann am besten an Gruppen mit Frauen anschließen. Diebe sind massenhaft in den Seitenstraßen zur Rambla zu finden.
- Basel: das Velo nicht draußen lassen. Was davon oft übrig bleibt, ist allein das aufgebrochene Schloss.
- Freiburg: s.o.
- Liestal: Velo wurde mir noch nicht geklaut, dafür das abnehmbare Vorderlicht.
Im Urlaub habe ich also recht wenige schlechte Erfahrungen gemacht. Schon gar keine auf meinen Velotouren in abgelegenen Gebieten. Überraschenderweise hat mir bisher noch niemand davon abgeraten, nach Barcelona oder Istanbul zu gehen.