Tag 040 - Gastfreundschaft nach unzähligen Schlaglöchern
MI, 06.05.2015 – Gastfreundschaft nach unzähligen Schlaglöchern
Zatoka – Spaske (Tatarbunary)
Die Unterkunft ist den hohen Preis nicht wert: fürs Bett gibt es nur eine Decke. Für die Unterkunft in Odessa hätte das gereicht, hier ist es aber kälter. So musste ich also meinen Schlafsack auspacken. An die Matratzen mit Sprungfedern, auf denen ich spätestens seit Rumänien schlafe, habe ich mich inzwischen gewöhnt. Wenigstens habe ich den Internetzugang sinnvoll genutzt. Ich schaue mir noch mal die Unterkunft an, in der ich gestern beinahe geschlafen hätte. Das hätte ich auch machen sollen.
Es ist zwar unwahrscheinlich, aber ich will versuchen, mit den etwas über 30 Griwna bis zu meiner Ankunft in Rumänien auszukommen. Für viel wird das aber nicht reichen. Zwei große Wasser und ein Bier, mehr ist nicht machbar. Meine restlichen Essenvorräte sind nicht besonders groß, sie werden aber bis morgen reichen. Mit dem Trinken wird es wirklich bis an die Grenzen gehen.
Umwege über viele Dörfer
Ich habe, egal in welche Richtung ich fahre, Seiten- oder Gegenwind. So wird das also nichts mit dem Vorwärtskommen. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, bei der Fahrt Richtung Süden Windunterstützung zu bekommen, das ist aber nur für eine Viertelstunde so. Die Stadt Bilhorod-Dnistrowskyj streife ich nur und fahre direkt in den Süden über einige Dörfer. Aber nur, weil ich mich verfahre. Dies bringt einen großen Umweg, sehr schlechten Straßenbelag und vor allem Seitenwind mit sich auf dem Weg dem Meer entlang. Es gibt aber auch nette Begegnungen. So zum Beispiel im Dorf Bilenke, wo ich in Kontakt mit zwei älteren Herren (gut 70) komme. Sie unterhalten sich mit mir auf Russisch. Er meint, und das kann ich auch auf Russisch verstehen, dass das Nachbardorf eine deutsche Siedlung sei. Er selbst ist wohl moldawischer Abstammung, denn er sagt mir zum Abschied „Gute Reise“. Die Landschaft „Bessarabien“, zu der diese Gegend gehört, ist also auch ein Vielvölkergemisch (so stammt der frühere Bundespräsident Köhler von hier). Ich frage ihn zwei Mal, ob ich ein Foto ihm und seinem Kollegen (und der Lenin-Statue) machen könne. Er lehnt aber ab und erwähnt dabei den Begriff „Internet“. Ich weiss zwar nicht, was er dadurch zu befürchten hat, kann seine Ablehnung aber dennoch verstehen. Ausserdem treffe ich eine ukrainische Radlergruppe von 42 Personen, die auf dem Weg nach Kiew sind. Sie sind gut bepackt und gemischten Alters.
Die Straßen sind eine Zumutung. Hier sind es nicht wie sonst Löcher und Rillen, sondern ganze Krater. Oft hat man dazu ungeteerte Parallelstraßen gebaut. In der Regel wird hier aufgrund der extrem vielen und großen Schlaglöcher Slalom gefahren. Das ist nicht schlecht für mich, da sich die Autofahrer so mehr konzentrieren und es in Ordnung ist, wenn ich nicht schnurgerade fahre. Die Landschaft gefällt mir, nur geht mir langsam der Geruch von Raps auf die Nerven, der mich schon seit Wochen begleitet.
In Zhovtyi Yar erkundige ich mich kurz, ob ich auch auf dem richtigen Weg sei. Einer der Gäste des Cafés macht mir klar, dass der Weg stimme. Er war in Leipzig stationiert und nennt mich „Kamerad“. Er hat mir wie alle Leute unterwegs zwar freundlich weitergeholfen, aber ich bin sehr froh, wieder die Bundesstraße zu erreichen. Deren Zustand ist oft nicht viel besser, aber es ist deutlicher gekennzeichnet, wo der Weg hinführt.
Durch die lange Fahrt beschließe ich, ab jetzt den kürzest möglichen Weg nach Istanbul zu nehmen. Die Tage mit wenig zurückgelegter Strecke und vor allem der Wind, der meistens vom Meer kommt, halten mich davon ab, mir das Donaudelta anzuschauen. Ich habe jetzt schon genügend menschenleere Gegenden gesehen und ein großer Fan vom Meer bin ich sowieso nicht.
Unterkunft in Spaske
In Spaske kaufe ich mit dem restlichen Geld ein Wasser und ein Bier, es bleiben noch 15 Griwna für die restliche Strecke in der Ukraine. Sprachlich kann ich mich in dem Kiosk nicht verständigen, dafür mache ich eine kleine Zeichnung, auf der man einen Schlafsack sieht, der unter einem Dach ist, auf das es draufregnet. Der Verkäufer versteht mit der Zeit, dass ich kein Hotel, sondern einfach eine trockene Unterkunft suche. Er kann mich aber nur auf die nächsten Hotels verweisen, die entweder knapp 20 Kilometer zurück in Tatarbunary oder 80 Kilometer weiter in Ismajil sind. So fahre ich etwas enttäuscht, aber trotzdem motiviert ein wenig durch das kreuzförmige Dorf, suche eine verlassene Hütte und spreche Leute an. Englisch spricht aber niemand. Schließlich gelange ich durch ein paar Kinder und Jugendliche an eine Frau, die für mich jemanden anruft. So fahre ich mit zwei Jungs ans andere Ende der langen Straße, die das Dorf schräg zur Hauptstraße durchzieht. Nach langem Warten vor einem Haus– ich will schon weiterfahren – kommt eine Frau (ca. 25) heraus, mit der ich mich sehr gut auf Englisch verständigen kann. Dazu kommt noch Yuriy (ca. 45), dem ich meine ganze Geschichte erzähle. Er ist der baptistische Prediger der Gemeinde. Sein Geld verdient er aber als Imker. Schließlich laufe ich mit den beiden und einem Herrn (ca. 50) noch weiter aus dem Zentrum heraus. Unterkommen tue ich bei der jungen Frau und dem Herrn, ihrem Vater. Bei ihnen ist ebenso die Ehefrau und der Großvater zuhause. Nach einer Dusche gibt es ein warmes Abendessen, wobei mich besonders die Mutter Tatiana sehr interessiert fragt, die Tochter übersetzt dann. Über das kalte Wetter ist man hier ebenfalls überrascht und es zu der Jahreszeit nicht gewöhnt. So habe ich es auch in Rumänien schon gehört. Ein sehr schöner Abend in dörflich-bäuerlicher Atmosphäre. Die Tochter Olesia arbeitet übrigens als Lehrerin und bringt so das Geld für die ganze Familie ein. Der Vater Grigoriy war in Ostdeutschland nahe Berlin stationiert. Danach geht es ins für mich hergerichtete Schlafzimmer.
Noch rechtzeitig bis zum 12. Mai abends in Istanbul anzukommen, um dort meine Eltern zu treffen, halte ich inzwischen für sehr unwahrscheinlich. Gestern bin ich zu wenig gefahren, heute habe ich mich verfahren. Es könnte nur mit 150 km pro Tag klappen, am besten ohne Gegen- oder Seitenwind.