Tag 034 - Velowerkstatt Nr. 4
DO, 30.04.2015 – Velowerkstatt Nr. 4
Odessa
Über Odessa
Odessa ist eine wichtige Hafenstadt am Schwarzen Meer mit einer Million Einwohner. Es gibt neben Ukrainern und Russen eine große Anzahl an bedeutenden Minderheiten. Dafür war die Stadt auch immer schon bekannt, als Schmelztiegel von Völkern, Kulturen, Sprachen und Konfessionen zwischen Orient und Okzident. Früher bildeten Russen und Juden die größten Bevölkerungsgruppen, heute sind es Ukrainer. Heute bilden die Russen ein Drittel der Bevölkerung; Russisch ist als Umgangssprache weit verbreitet. Bis zum Holocaust bzw. der Emigration nach 1991 wurde hier auch viel Jiddisch gesprochen. Beim Massaker von Odessa wurden im Oktober 1941 etwa 30.000 Juden durch rumänische Truppen ermordet.
Mein erster Eindruck von Odessa: entweder sind die Leute sehr freundlich und hilfsbereit oder sie ignorieren einen einfach. Im Hostel werde ich von den wenigen Bewohnern zum Beispiel nur von der Chefin begrüßt. Eigentlich bin ich es von kleinen Einrichtungen gewohnt, dass man sich kurz gegenseitig vorstellt, sich grüßt. Die gute Art eben. Dass das nicht immer so ist, weiss ich. Hier entspricht es aber überhaupt nicht der Norm, kurz mal „hallo“ zu sagen.
Veloreparatur
Wichtigste Aufgabe des Tages ist es, mein Rad wieder in Ordnung bringen zu lassen. Übers Internet habe ich einen Veloladen gefunden, der einen guten Eindruck macht. Diesen habe ich aber nicht von den Leuten, wegen denen ich vor allem südlich des Bahnhofs 20 Kilometer in der Stadt rumfahre, ohne den Laden zu finden. Mehrfach werde ich in völlig falsche Richtungen geschickt. Schließlich spreche ich den jungen Velofahrer Slava (ca. 25) an. Er kennt das von mir gesuchte „Fortis bike“ gut und fährt mit mir hin. Der Chef Jaroslaw (ca. 35) meint, er habe die Speichen bis um 17 Uhr repariert. Wegen dem verbogenen Taschenhalter gehen wir zum anderen Veloladen direkt ums Eck, Velolux, Slava kennt sich wirklich gut aus. Der dortige Mitarbeiter Oleg (ca. 45) hat gelegentlich in Deutschland gearbeitet und spricht die Sprache recht gut. Er kommt aus dem von Separatisten bzw. Russen besetzten Donezk, von wo er geflohen ist.
Am Mittag habe ich 500 Griwna abgehoben, was dem Bankomaten nach ein höherer Betrag zu sein schien. Allerdings reicht das durch einen Supermarkteinkauf und ein Mittagessen gerade so bis zum Abend aus. Also gehe ich zu einer Bank, um ein paar Euro zu wechseln. Dort werde ich an einen Schalter geschickt, an dem einige Leute anstehen. Eigentlich nicht so schlimm, die Kasse schließt aber um 17 Uhr, also recht bald. Das wäre noch gut machbar, wenn die Leute sich ihr Geld nicht in dicken Bündeln auszahlen lassen, es genau nachzählen und sich dabei schön Zeit lassen würden. Bei dem, was hier im Land generell an Geld zu sehen ist – die Leute haben es bündelweise in den Taschen – müssen die Druckereien der Banknoten schwer beschäftigt sein. Das ist ziemlich nervend, schließlich ist es 17 Uhr und ich komme nicht mehr dran. Macht aber eigentlich nichts, denn ich wurde sowieso zum falschen Ort geschickt: Hier wechselt man gar kein Geld. Also gehe wieder raus und werde in einer Geschäftshalle zum Glück gleich fündig. So fahre ich mit dem Bus, um mein Rad abzuholen. Zahlen muss man dort übrigens erst beim Aussteigen. Da die Busse immer voll sind, wird das Geld einfach nach vorne gereicht.
Gegen 17:30 komme ich wieder bei „Fortis bike“ an. Die Speichen sind wieder in Ordnung und alles ist gerade gebogen. So gebe ich Jaroslaw die Telefonnummer von dem Laden, der den Rahmenhalter aus Aluminium wieder gerade biegen könnte, was in dieser Stadt anscheinend fast niemand kann. Das mit dem Geschäft war aber wohl ein Missverständnis. Der entsprechende Arbeiter kann nur mit Stahl arbeiten, die Strecke dorthin kann ich mir also sparen. Fahren kann ich also wieder. Wie ich allerdings ohne die kleine Tasche weiterkomme, weiß ich nicht.
Die Trolleybusse sind wie die Trams klein und immer rammelvoll. Es sind hier viele kurze Röcke zu sehen, die auch schon kleine Kinder tragen.