Tag 032 - Fahrt nach Transnistrien

DI, 28.04.2015 – Fahrt nach Transnistrien

Călărași – Tiraspol

 

Fahrt nach Chișinău

Von Iași hätte ich direkt weiter in den Süden fahren können, um endlich Richtung Türkei zu kommen. Da ich aber schon mal in der Gegend bin, will ich auch nach Chișinău/ Kischinau, der Hauptstadt Moldawiens. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich hier noch mal mit dem Rad vorbeikomme, halte ich für sehr gering. Und die momentanen Straßenverhältnisse machen diese noch um Einiges geringer.

In der mit Kunden überfüllten Bank will ich Geld wechseln. Doch bis ich dran komme müsste ich noch eine halbe Stunde warten, was ich nicht will. So fahre ich gegen 8:30 los. Das anfangs gesetzte Ziel Odessa lasse ich gleich fallen. Denn ich habe Gegenwind, aber dafür ist es immerhin sonnig und warm. Das bergauf und bergab Fahren nimmt leider immer noch kein Ende, ganz so schlimm wie die letzten Tage ist es aber nicht mehr.

 

 

Chișinău

Chișinău wurde in den 1940er Jahren durch den 2. Weltkrieg und ein sehr starkes Erdbeben fast vollständig zerstört. Die einst sehr zahlreichen Juden erlebten einige Pogrome bis schließlich zum Holocaust. 1989 kam es schon vor der Wende zu Spannungen mit Moskau. Es ist eine ziemlich durchorganisierte Stadt. Heute sowieso, denn der polnische Präsident Komorowski wird erwartet, es ist also sehr viel Polizei und Militär im Aufmarsch. Ich spreche zwei englischsprachige Touristinnen (ca. 25) an, die mir bei der Suche nach Sehenswürdigkeiten sagen, dass in der Hauptstraße eigentlich alles Sehenswerte zu sehen sei. Sie kommen aber noch mal zurück und schenken mir ihren Stadtplan. Danach treffe ich auf Elena (ca. 25). Wir haben ein sehr nettes Gespräch. Für einen Tee hat sie aber keine Zeit, da sie ihre kastrierte Katze abholen muss. Ich kann sie aber begleiten. Vor der Klinik spricht mich Jon (ca. 75) an und bietet mir – durch Elena als Übersetzerin – an, bei seinem Bekannten Wladimir, einem ehemaligen KGB-Mitarbeiter, die kommende Nacht in Odessa zu verbringen. Das ist ja mal ein Angebot. Elena holt ihre Katze ab und unsere Wege trennen sich. Ich bin  sehr dankbar für unseren gemeinsamen Weg, denn ohne ihre Begleitung hätte ich von der Stadt nur die Prunkbauten der Nachkriegszeit gesehen und nicht die schönen Reste der Bauten der Jahrhundertwende. Bei der Suche nach einem Restaurant oder Imbiss mit Toilette kann ich es nicht fassen – in dieser Stadt scheint es fast nur Süßwaren, Banken und Kneipen zu geben. So frage ich zwei junge Frauen auf Englisch, ob sie mir weiterhelfen könnten. Einer rutscht auf ein Mal ein deutsches Wort raus und ich wechsle unsere Kommunikationssprache ins Deutsche, was viel besser funktioniert. Schließlich finde ich eine Pizzeria.

 

Die Moldawier sind mir bisher sehr positiv aufgefallen. Jedenfalls die Menschen, mit denen ich direkten Kontakt hatte. Ansonsten sind mir die Autofahrer als die mit Abstand gefährlichsten meiner ganzen bisherigen Tour in Erinnerung. Hier muss man wirklich ganz rechts fahren, viele bleiben um jeden Preis auf der rechten Spur und wollen nicht über den Mittelstreifen.

 

Sprache: Mit Italienisch kommt man übrigens ganz gut durch in Moldawien. Und die Jüngeren sprechen auch ausreichend Englisch. Ansonsten reicht es einfach, den nächstgewünschten Ort zu sagen, dann wissen die Leute schon, was man meint, deuten es einem mit den Händen an oder zeichnen es sogar auf. Viel mehr als Tourist kann ich mich ja nicht zu erkennen geben als durch mein „Outfit“.

 

 

 

Fahrt nach Transnistrien

Ab hier geht es mit der Fahrt nur noch abwärts. Symbolisch jedenfalls. Es gibt immer mehr Steigungen, Gegen- und Seitenwind lassen mir keine Ruhe.

Würde ich auf Nummer Sicher gehen, würde ich das von Moldawien abtrünnige Transnistrien umfahren und vom Südosten Moldawiens in die Ukraine einreisen. Allerdings gehe ich lieber auf Risiko und fahre durch die Hauptstadt Tiraspol des hauptsächlich von anderen nicht anerkannten Staates. Denn die Stadt liegt mitten zwischen Chișinău und Odessa. Ob ich nachher Probleme mit dem Stempel im Reisepass haben werde, wird sich erst noch zeigen. Denn schließlich muss ich, um zurück nach Rumänien zu kommen, wieder durch Moldawien, wenn auch nur für geschätzte 10 Kilometer. Das aktuelle Problem ist eher, dass ich dem transnistrischen Zollbeamten nicht sagen kann, wo ich heute Nacht schlafen werde. Das sollte ich nämlich, wie bei der Reise nach St. Petersburg, wissen. Er gibt mir aber eine Migrationskarte mit dem Aufdruck, dass ich das Land innerhalb von 24 Stunden wieder verlassen muss. Die Bevölkerung besteht etwa aus jeweils einem Drittel Moldawiern, Ukrainern und Russen. Das Land fühlt sich eindeutig Russland zugehörig, so sind auch über 1.000 russische Soldaten im Land stationiert.

 

Die Grenze zu Transnistrien befindet sich kurz vor Bender/ Tighina. Dahinter findet man an jedem Ortsende Militär. Schon in Moldawien hat die zweifache Angabe in lateinischer und russischer Schrift zugenommen, hier ist i.d.R. nur noch die russische zu sehen. Die Qualität der Straßen hat sich hier deutlich verbessert. Die Gruppe junger Männer, die mir weiterhelfen wollen, übertreibt es. Jeder einzelne will mir erklären, wie ich am besten dort hinkomme. Der letzte hat die einfachste Erklärung: Einfach der Oberleitung der Busse folgen, dann komme ich automatisch ins Zentrum Tiraspols.

 

Ankunft in Tiraspol

Mit einem rechtzeitigen Ankommen bei Sonnenschein wird es also wieder nichts. Wieder keine Möglichkeit, zu einer Männergruppe zu sitzen und vielleicht Übernachtungsmöglichkeiten angeboten zu bekommen. Wenigstens gibt es hier Straßenbeleuchtung. In Tiraspol wird es sogar schwer, mit Englisch durchzukommen. Aber Verständigung ist auch mit Hand und Fuß möglich, ein paar russische Wörter verstehe ich auch. Eine Angestellte in einem kleinen Kiosk zeichnet mir den Weg zum Zentrum auf, der sehr simpel ist. Und zum Glück spreche ich dort Julia (20) an, die gerade mit ihrer Mutter unterwegs ist, wo denn ein Motel sei bzw. wo ich Geld wechseln könne. So laufen wir lange durch die Stadt, bis klar wird, dass ich heute Nacht bei ihr, ihrer Mutter und ihrer Freundin Tanja schlafen kann.

In Transnistrien, spätestens in Tiraspol fängt übrigens die Reise in die Vergangenheit an. Chișinău hat oft schon etwas seltsam gewirkt, aber das hier ist der Gipfel. Man könnte zwar auch in Basel oder Freiburg viele Neubauten gleich wieder abreißen, aber was man hier sieht, verdüstert meine Stimmung ziemlich. Ich denke, die Bilder sagen genug aus.

 

Auch hier, wo die Leute sicher nicht mit Geld überhäuft sind, sind viele Autos unterwegs. Autos, die ziemlich neu und nicht gerade billig aussehen. Vielleicht kommt das Geld ja von Verwandten aus dem Westen oder durch Korruption. Noch verbreiteter sind Smartphones, mit denen auch hier wie weltweit sehr viele Menschen ihre Freizeit verbringen.

 

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 07 Sep 2016 19:21:51

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