Tag 028 - Lange Fahrt bergab über Oituz
FR, 24.04.2015 – Lange Fahrt bergab über Oituz
Ghimbav/ Weidenbach – Onești
Ich frühstücke zusammen mit den Kindern, bevor diese in den Kindergarten gehen. Danach treffe ich die Luzernerin Sonja Kunz, die die Einrichtung 1995 gegründet hat. Mit ihr habe ich ein kurzes Gespräch, bedanke mich für die Unterkunft und schildere meine guten Eindrücke von der Einrichtung und den Kindern. Leider muss sie gleich weiter zu einer Teambesprechung.
Für mich geht die Fahrt weiter nach Brașov/ Kronstadt. Dort habe ich ein Interview mit Dieter Drotleff von der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“. Meine Hoffnung ist, dass die Leser Verwandtschaft in Deutschland haben, die dann vielleicht für die syrischen Flüchtlingskinder in Ankara spenden. Außerdem teile ich ihnen gerne mit, dass mir ihr Land sehr gut gefällt und dass ich diese Zusatzstrecke bewusst ausgewählt habe.
Kronstadt war neben Hermannstadt jahrhundertelag das Zentrum der Siebenbürger Sachsen. Schon 1987, also zwei Jahre vor der Wende, erhob man sich hier gegen die Ceaușescu-Diktatur.
Fahrt nach Onești
In der ganzen Region leben viele ungarisch sprechende Bewohner. So wechsle ich also von der einen zur anderen Minderheit. Der Region geht es wirtschaftlich deutlich schlechter als den bisher von mir durchfahrenen Gebieten Rumäniens. Und die Dörfer scheinen sich untereinander abgesprochen zu haben: Die einen verkaufen nur Gemüse, vor allem Kartoffeln, die anderen Baumstriezel (Kürtőskalács). Davon scheinen hier sehr viele Menschen zu leben. Zwei Herren versuchen während meinem Vorbeifahren, mir Kartoffeln und einen Metalltrichter anzudrehen. Versuchen kann man es ja. An Târgu Secuiesc / Szekler Neumarkt fahre ich nur vorbei. Hier wohnen fast nur Szekler, die ungarischen Ursprungs sind. Die Ortschaften in dieser Gegend haben deswegen auch oft zwei Namen – einen rumänischen und einen ungarischen.
Der Wind hat heute meistes den gleichen Weg wie ich, bereitet mir kaum Probleme. Nach einigen Stunden geht es durch die Serpentinen steil bergauf. Ab dem Scheitelpunkt geht es aber umso mehr bergab, ganze 400 Höhenmeter, was einige Kilometer lang dauert. Da habe ich in den letzten Tagen wohl einiges an Höhenmetern angesammelt. Dad Dorf Oituz ist das bisher definitiv schönste dieser Tour. Es ist sehr lang und die alten, bunten Häuser mit ihren bäuerlichen Hinterhöfen wären optimal geeignet für jeden romantischen Film. Dazu kommen die Abenddämmerung und die bunten Blüten, die ich in dem von zwei kleinen Hügeln umschlossenen Dorf sehen kann. Ab hier hat es wieder vermehrt freilaufende Hunde, die aber wenigstens genau so stutzig über mein Erscheinen sind wie die Menschen. Trotzdem sind sie einer der Gründe, sicher nicht draußen zu schlafen. Der andere ist, dass im Wald hinter mir Bären leben, die auch mal in die Dörfer eindringen, um Futter zu suchen.
„50 Lei for one night stand“
Als ich aus Oituz rausfahre, habe ich das Gefühl, einen Fehler zu machen. So will ich unbedingt noch die Kleinstadt Onești erreichen, um morgen nach einer genau so langen Fahrt noch Iași zu erreichen. Eigentlich hätte mir klar sein sollen, dass dies unter anderem auch eine Urlaubsfahrt ist und ich mich am besten zu den Leuten bei den vielen kleinen Geschäften, Restaurants und Kneipen setzten sollte und ein Bier trinken, der Rest hätte sich schon ergeben. Anstatt dessen fahre ich weiter nach Onești, wo ich schließlich in einem preiswerten Hotel unterkomme. Auf dem Weg dorthin hupt hinter mir jemand. Zuerst glaube ich, es sei ein LKW, dann fährt aber doch ein trabiähnliches Polizeiauto vorbei und lässt noch etwas über den Lautsprecher verkünden, dessen Ton aber so verknarzt ist, dass es auch ein Rumäne nicht verstehen würde.
Um 19:59 komme ich in Onești an. Also eine Minute früher, als ich mir im optimalsten Fall ausgerechnet habe. Allerdings habe ich die Zeit falsch eingeschätzt. Nicht wegen der anderen Uhrzeit – meine Tachouhr, an der ich mich noch orientiere, geht noch nach der MEZ. Sondern weil ich die Zeit falsch eingeschätzt habe. Es ist schon gegen 19:30 recht dunkel geworden.
Die junge Frau im Hotel sagt auf Englisch, es koste „50 Lei for one night stand“, womit sie wohl „one night stay“ meint. Ich verzichte aber darauf, ihr den Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen zu erklären. Mein Velo kann ich im Kellerzimmer unterbringen. Dort schlafe ich dann auch, obwohl es etwas kalt ist. Ausgehen tue ich nicht, denn die Stadt hat wirklich nichts zu bieten, da sie zum Großteil erst wenige Jahrzehnte alt ist.