Tag 021 - Gastfreundschaft in Timișoara
FR, 17.04.2015 – Gastfreundschaft in Timișoara
Cenad/ Tschanad – Timișoara/ Temeschburg
Kilometer aufholen
Kurz nach 8 fahre ich los. Gleich nach dem Start gehe ich ins Kloster Morisena. Die Nonnen und der Pfarrer sind am Beten und Singen. Eigentlich eine optimale Gelegenheit, eine Videoaufnahme zu machen. Aber das wäre mir zu unpassend, vor so etwas sollte man immer nachfragen. Als ich rausgehe, sprechen mich zwei Kirchgänger an. Sie meinen, heute sei ein besonderer Feiertag. Welcher, wissen sie aber nicht. Später habe ich herausgefunden, daß der heutige Freitag kein Fastentag ist, weil er in der Osterwoche liegt.
Die weitere Strecke ist vor allem eben und ich habe meistens Seitenwind von rechts, gegen Ende auch Rückenwind. Eine Pause kann ich nicht machen, weil mir der Wind immer alles wegweht. Was mir vor allem auffällt, ist die Beschriftung der Häuser unterwegs. An den meisten steht das Baujahr und das ist fast immer im 20. Jahrhundert. Bei sehr vielen Häusern stehen auch die Namen der Originalbesitzer, welche oft deutsch sind.
Gastfreundschaft in Timișoara
Schon um 13 Uhr habe ich locker die Strecke von gestern mit 75 Kilometern erreicht und will heute den Rückstand noch weiter aufholen. In Timișoara mache ich aber erst mal Halt. Im „historischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des (über drei Länder verteilte) Banats“ habe ich vor, einige Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Es ist sie drittgrößte Stadt des Landes. Die Rumänische Revolution 1989 hat hier ihren Ursprung. Bei Demonstrationen kamen bei einem militärischen Massaker schätzungswese 153 Menschen ums Leben. Diese breiteten sich im ganzen Land aus und führten schließlich zum Sturz von Diktator Ceaușescu.
Aber zuerst sehe ich zufällig ein Velogeschäft, das ich sofort aufsuche. Die kleinen Probleme und Vermutungen über mögliche Schäden löse ich lieber jetzt, als irgendwann blöd dazustehen. Und ehrlich gesagt habe ich wenig Ahnung von Fahrrädern, die heutigen Reparaturen bzw. Kontrollen wären den meisten anderen wohl auch zu hoch. Da es wohl ein bisschen länger dauern würde, sagt der Chef Nelluzu bzw. Nellu (Diminuitiv von Ioannis) bzw. John, wie ich ihn ansprechen soll, ich könne in dieser Zeit doch ins benachbarte „Yamy Bistro“ gehen. Das junge Ehepaar Christian und Monika (beide ca. 30) betreiben das Geschäft seit gut einem Jahr. Sie sprechen mich gleich auf Deutsch an, was sie wirklich perfekt sprechen. Sie war für drei Jahre in München, er hat deutsche Vorfahren aus Siebenbürgen, aus Mediaș.
Dass ich in den Iran fahre, wundert die beiden übrigens nicht. Ein guter Freund von ihnen ist vor zwei Wochen dorthin gestartet, ebenfalls mit dem Rad. Ein anderer Gast, der mich schon vor dem Radgeschäft angesprochen hat, lädt mich ein, dass im Bistro alles auf seine Kosten gehe, bevor er gleich darauf verschwindet. Ein weiterer Gast, Bogdan, lädt mich ebenfalls ein. So lädt er mich in seine freie Ein-Zimmer-Wohnung ein, in der ich heute kostenfrei übernachten könne. Er ist leidenschaftlicher Velofahrer, allerdings eher auf Kurzstrecken. So will er übermorgen an einer Tour in der Gegend teilnehmen, die ganze 200 Kilometer lang ist - an einem Tag. Ansonsten arbeitet er als Forensiker. Zuerst bedanke ich mich für das freundliche Angebot, lehne es aber ab, da ich recht sicher noch weiterfahren werde – ich habe gerade mal 70 Kilometer hinter mir. Doch sicherheitshalber frage ich ihn doch noch nach seiner Nummer. Zum Glück, denn die Reparatur am Rad wird dauern, die Warteschlange im Laden nimmt zu. Außerdem scheint es heute Nacht noch zu regnen.
Über die Gastfreundschaft, die mich in Rumänien von Anfang an eingenommen hat, erzähle ich den beiden Chefs. Sie können dies von sich aus nicht bestätigen. Kein Wunder, sie sind ja Einheimische. So geht es auch den Türken in der Türkei.
Timișoara
Dass dies eine internationale Stadt ist, wird mir schon im Veloladen wie auch im Café klar: hier sind mehr Auswärtige als Einheimische, vor allem arabisch, französisch oder italienisch Sprechende. In der kurzen Zeit, in der ich in den beiden Läden bin, begegne ich aber auch Leuten aus Indien, Spanien oder England.
Chris kommt später vorbei und sagt mir, er habe noch ein paar Fehler gefunden und könne deswegen und aufgrund seiner zahlreichen Kundschaft erst morgen mit der Reparatur fertig werden. Somit war es heute eine schnelle, aber unerwartet kurze Fahrt. Wie versprochen kann ich also in Bogdans Wohnung übernachten.
Am Abend gehe ich noch ins Zentrum, mit der gerade passiert, was in Ostdeutschland schon vor 25 Jahren passiert ist: eine Totalsanierung. Die meisten Straßen der schachbrettartigen Innenstadt sind also oft aufgerissen, überall liegen Haufen an Pflastersteinen und Sand. Bei einigen Häusern ist der Verputz ab und wartet auf eine neue Schicht. Echt interessant, wie eine Stadt sich so verändert. Mehr dazu morgen
Außerdem treffe ich auf Oana, die mir die Stadt noch mal von ihrer Sicht zeigt und Ausgehtipps gibt.