Tag 008 - Den Gerlospass hinunter zur Hollersbacher Gastfreundschaft
SA, 4. April 2015 – Den Gerlospass hinunter zur Hollersbacher Gastfreundschaft
Hall in Tirol – Hollersbach im Pinzgau
Fahrt ins Zillertal
Mein neuer Schlafsack hat bewiesen, dass er ziemlich kalte Temperaturen aushält. Jedenfalls, wenn man sich darin eine Jeans anzieht, eine Sportjacke und zwei Paar Socken. Gefroren habe ich jedenfalls nicht. Da wider mein Erwarten – es ist Samstag – morgens um kurz vor 6 ein Angestellter auf dem Betriebsgelände auftaucht, packe ich schnell und geräuschlos meine Sachen, was mir sehr gut gelingt. Und sogar falls ich ein kleines Geräusch machen würde – wer würde bitteschön auf die Idee kommen, dass hier jemand übernachtet, und dann auch noch bei der Temperatur? So bescheuert kann ja wohl niemand sein.
Recht bald frage ich eine ältere Frau, etwa 70, nach dem weiteren Weg. Sie ist mit ihrem Enkelsohn, etwa 5, zu Fuß unterwegs. Sie gibt mir Bescheid und fragt dann mich nach dem Ziel meiner Reise. Mit meiner Antwort kann sie gleich etwas anfangen, was nicht sehr oft vorkommt. Sie hat vor etwa 20 Jahren mit ihrem Mann ebenfalls längere Radtouren gemacht, zum Beispiel nach Budapest oder nach Dänemark. Dabei ging es ihnen meistens darum, auf dem Weg Leute kennen zu lernen. Bei dem sehr netten und witzigen Gespräch meint sie, ihr Enkelsohn komme aus Genf, wohne also wie ich in der Schweiz. Deswegen fange ich an, ein bisschen Französisch mit ihm zu reden. Brauche ich aber nicht, denn der dunkelhäutige Bub hat alles aus unserem Gespräch mitbekommen – er ist nämlich dreisprachig aufgewachsen mit französisch, deutsch und englisch.
Im Bus den Gerlospass hinauf, im Schnee herunter
Der Kufstein-Radweg führt mich weiter bis kurz hinter Jenbach, wo ich den Inn verlasse und den Zillertalradweg nutze, der nach Süden führt. Die ebene Strecke fahre ich bis Zell am Ziller. Ab dort (575 m.ü.A.), so habe ich es mir wegen dem kalten Wetter vorgenommen, fahre ich um 13:27 mit dem Bus auf den Gerlospass (ca. 1530 m.ü.A.). Ich muss nicht um jeden Preis nur mit dem Fahrrad unterwegs sein. Deswegen habe ich auch schon den Zug benutzt, um durch den Arlberg hindurchzukommen.
Mit dem ersten Fahrer Daniel unterhalte ich mich wunderbar. Beide haben wir schon mal in Barcelona gelebt. Er kommt aus Balaton im Nordwesten Rumäniens, empfiehlt mir die Gegend wärmstens und macht mir Reisevorschläge (über Satu-Mare nach Maramures). Der zweite Fahrer, Toni, würde bei dem Wetter sicher auch nicht den Berg hoch fahren – denn dabei hätte man oben bestimmt die zwei wegen der Kälte notwendigen Hemden/ Jacken von innen vollgeschwitzt und von außen voller Schnee, bei der Abfahrt würde man sich sicher eine Erkältung zuziehen. In diesem Falle solle man doch die Vernunft walten lassen und den Bus nehmen. Ich gebe ihm recht. Da ich der einzige Fahrgast habe, lädt er mich auf der für mich optimalsten Stelle ab. Dies ist auf dem Gerlospass.
Hier oben schneit es fast noch stärker als bei Fahrt hinauf, das stört beim Bergabfahren aber nicht so arg. Jetzt geht es erst mal eine Zeit lang nur abwärts, was aber ebenfalls gefährlich aussieht. Neben dem Schnee gibt es zum Teil ein Gefälle von 17% und der Straßenbelag ist oft kaputt – wenigstens hat sich dort noch kein Schnee festgesetzt. Sicherheitshalber ziehe ich mir neben dem Hemd zwei Radlerjacken und eine Winterjacke an, dazu Winterhandschuhe und Schuhschützer, um mich gegen Schnee und Kälte zu wappnen. Nach der Rutschpartie komme ich in Wald im Pinzgau an (885 m.ü.A.). Die Kleider behalte ich noch bis zum nächsten Dorf an, bis ich wieder etwas überschüssige Temperatur habe. Die Kälte hat übrigens auch einen Vorteil: Essen und Getränke in meinen Taschen verderben nicht.
Brücken schlagen in Hollersbach
In Hollersbach habe ich zum zigten mal hintereinander den Weg verfehlt. Auf einmal stehe ich vor einer schmalen Brücke. In deren Mitte würde ich zu Fuß problemlos durchpassen. Rechts und links sind zwei Holzstege. Da hat wohl jemand mitgedacht für Radfahrer. Allerdings nicht für welche mit Gepäck, denn dafür sind die Stege nicht breit genug. Außerdem sind sie durch den Regen glitschig. Mein Versuch, das Rad doch irgendwie hochzuschieben, scheitert zwei Mal kläglich. Trotzdem bleibe ich noch ein bisschen stehen und grüble über eine mögliche Lösung. Kurz bevor ich umdrehen will und einen anderen Weg nehmen will, kommt eine Frau auf mich zu und fragt mich, ob sie mir helfen kann. Sie, Manuela (ca. 40), kommt normalerweise nie diesen Weg entlang, wie sie mir später sagt. Zu zweit schaffen wir es gut, das Rad über die Brücke zu schleppen. Dabei erzähle ich ihr von meinem Vorhaben und dem Plan, heute Abend wieder eine Unterkunft im nächsten Industriegebiet zu suchen. Spontan lädt sie mich ein, in ihrer gerade frei geworden Ferienwohnung „Schupfengut“ zu übernachten. Sie wohnt direkt nebenan mit ihrem Mann Robert und den zwei Töchtern. Ich bin ganz froh, einen trockenen und vor allem warmen Platz zu haben, denn von meinem Gepäck und Kleidern sind einige ziemlich nass geworden. So richte ich mich in der Wohnung aus Vollholz gut ein. Wenig später kommt Manuela wieder, dieses Mal von ihrem Mann begleitet und wir trinken zusammen einen Schnaps. Sie sind sehr interessiert an meiner Reise. Das ist mal eine Gastfreundschaft! Und was für eine Überraschung. Denn bei meinen bisherigen Reiseerfahrungen im deutschsprachigen Raum habe ich dies selten erlebt und wir haben einen guten Austausch. Auch alle anderen, die ich heute getroffen habe, waren sehr freundlich, haben mich gut informiert, waren offen.
Wie ich am Abend bemerke, habe ich von gestern einen ordentlichen Sonnenbrand.