Tag 39 - Pedale und "Homosexuellen-Propaganda"
MI, 7. August 2013 - Pedale und "Homosexuellen-Propaganda"
St. Petersburg
Nach dem späten Aufstehen gehe ich direkt essen. Gegenüber des Hostels gibt es ein Hare-Krishna-Restaurant. Wieso nicht ein weiteres Mal? Hier bleibt mir aber nicht wie in Riga die meditative Musik in Erinnerung, sondern die übermäßig hohe Anzahl an Frauen (75%), die dazu meist alleine anwesend ist. Als Kontaktbörse - für mich - würde ich es aber dennoch nicht ansehen. Dazu scheinen mir zu viele Gäste weit abseits meiner Welt unterwegs zu sein.
Heute geht es viel um die weitere Organisation des Rückflugs: Booking, Reisesack kaufen und endlich Geld wechseln - bisher habe ich von den restlichen Rubeln von Kaliningrad gelebt. Vor allem will ich auch die Pedale des Velos probehalber abschrauben, anstatt mich wie beim letzten Flug erst am Flughafen damit rumzuquälen und auf das Wohlwollen der Kontrolleure verlassen musste. Mit meinem kleinen Sechskantschlüssel komme ich beim rechten Pedal aber kein Stück vorwärts und bitte die kräftigen Handwerker im Hof des Hostels um Hilfe. Die schaffen es trotz mehrerer Versuche aber auch nicht. Nächster Versuch: vor einer Kneipe schrauben Sascha (ca. 30) und ein Freund an ihrem Roller rum. Genau die Richtigen! Nach einigen Probeläufen schafft er es mit einem längeren Schlüssel, das Pedal zu lockern. Neben Englisch kann er ein paar Brocken Deutsch, da er Freunde in Berlin und Reutlingen hat. Er gibt mir bei meiner Beobachtung Recht, dass es hier sehr viele schöne Frauen gibt. Allerdings hält er die meisten für etwas verrückt. Seit er verheiratet ist, kümmert ihn das aber nicht mehr. Da er Besitzer der Kneipe ist, sage ich ihm, heute Abend vielleicht mal vorbeizuschauen.
Etwa die Hälfte der momentanen Gäste des Hostel „Cuba“ sind aus Süd- oder Mittelamerika. Und viele andere Weltreisende, die sich über ihre Erfahrungen in Südostasien austauschen, wofür ich mich – momentan – nicht erwärmen kann. Ehrlich gesagt ist es mir einfach zu groß und zu international. Ich hoffe eher, noch weitere Erfahrungen mit Russen sammeln zu können. Deswegen gehe ich abends noch in Saschas Bar, wo ich mich mit drei seiner Kollegen (alle ca. 25) unterhalte, natürlich auch über meine Velotour. Einer von ihnen ist spendabel und lässt den 4 jungen Damen (alle ca. 25) am benachbarten Tisch jeweils einen Drink bringen. Diese bedanken sich kurz dafür, mehr wird aber nicht daraus. Kurz bevor ich die Bar verlasse, spreche ich die Damen kurz an – alle können ganz gut Englisch – und meine, die Herren würden sich sehr über ein Gespräch freuen. Ich bekomme aber gleich freundlich gesagt, dass zwei von ihnen verheiratet sind und zwei einen festen Freund haben. Daher besteht kein Interesse an einem Kontakt zu den jungen Herren. Meiner Meinung nach macht die Gegend hier und das russische Publikum der Bar einen sehr liberalen und offenen Eindruck. So wechsle ich gleich das Thema und spreche sie kurz auf die Gesetze zum Verbot der „homosexuellen Propaganda“ an. Sie sagen, Homosexualität widerspreche der Fortpflanzung der Menschen. Ich entgegne, bei den alten Griechen gab es ja auch schon Homosexualität und die sind bisher auch noch nie ausgestorben. „Aber das griechische Reich ging unter!“ ist die Antwort. Hier ein ernsthaftes Gespräch anzufangen, scheint mir kaum sinnvoll. Auch die englische Mitarbeiterin des Hostels hat mir gesagt, mit Russen brauche man das Thema Homosexualität gar nicht erst ansprechen, das hätte sowieso keinen Sinn. Die Unterdrückung von Minderheiten kommt mir als Deutscher ziemlich bekannt vor - irgendeinen Sündenbock braucht es halt immer. Dass dieses Gesetz aber ausgerechnet in St. Petersburg bewilligt wurde, finde ich seltsam. An keinem Ort meiner bisherigen Reisen habe ich öfter gleichgeschlechtliche Pärchen Hand in Hand gesehen (jedenfalls im Zentrum der Stadt). Wenigstens sind sich in diesem Feindbild die oberen Christen, Muslime und Juden Russlands einig. Allerdings bin ich mir sicher, dass in zig Toiletten von Schwulen ein Plakat mit Vladimir Putin hängt.
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