Tag 36 – Zurück an der Ostsee
SO, 4. Augsust 2013 – Zurück an der Ostsee
Tartu (Dorpat) – Sillamäe
Die Fahrt auf der Fernstraße E264 geht weiter. An einem Rasthaus treffe ich auf zwei Herren (ca. 60), die von Offenburg/ Karlsruhe über Rügen nach Klaipėda (Litauen) und mit dem Motorrad hierhergekommen sind. Zurück nach Deutschland geht es über Danzig und Tschechien. Unterwegs sehe ich einen jungen Mann (ca. 20), der neben dem Standstreifen zusammengekauert dasitzt. Auf mein Ansprechen reagiert er nicht. Sicherheitshalber halte ich das erste vorbeifahrende Auto an. Der junge Fahrer (ca. 25) spricht den Mann auf Estnisch an. Als der ziemlich Betrunkene sich wieder aufrappelt, bedankt er sich bei uns beiden und macht er sich auf den Weg die Straße entlang. Und das ist sicher ein langer Weg, oft gibt es kilometerlang keine einzige Abzweigung. Auf jeden Fall kommt es mir seltsam vor, das niemand vor mir angehalten hat, um den jungen Mann zu unterstützen. An der Straße zu sitzen ist ziemlich gefährlich, vor allem ist es ziemlich heiß. Vorbei am Peipussee, geht es weiter nach Norden. Kurz vor Sillamäe treffe ich auf Friedrich (55). Er ist Niederländer, seine Familie wohnt aber schon seit Generationen in Deutschland. Er macht mit seinem Kollegen, der ihm schon ein wenig vorausfährt, ebenfalls eine Velotour. Er berichtet mir von seinen bisherigen Erfahrungen auf dieser wie auch bei anderen Touren. Eine sehr angenehme Begegnung und netter Austausch über Europa, Grenzen und Velofahren.
Mir ist jetzt klar, dass ich mein gesetztes Ziel, Narva, heute nicht mehr erreichen werde - obwohl ich beim Fahren kaum Unterbrechungen gemacht habe und einen sehr guten Geschwindigkeitsschnitt hatte. Weiterfahren will ich aber auch gar nicht, denn ab etwa 19 Uhr wird es ziemlich frisch, wenn man sich nicht bewegt. Das neue Ziel heißt also Sillamäe, die einst geschlossene Stadt. Bis zum Ende der Sowjetunion stellte man hier waffenfähiges Urtan her und die Stadt war nur mit Genehmigung zu betreten. Beim Eintreffen in der Stadt fühle ich mich schon wie in Russland: die meisten Bewohner sprechen Russisch. Und sonst nichts. Kein Englisch und oft nicht einmal Estnisch. Hier lebt ein großer Teil der russichen Bevölkerung Estlands, welche 25% ausmachen. Leo (15) ist da eine Ausnahme: es ist dreisprachig. Er hilft mir bei der Suche nach einer Unterkunft. Da er gerade Schulferien hat und hier nicht viel los ist, hat er genügend Zeit, mir zu helfen. Entgegen meiner ersten Idee entscheide ich mich dagegen, am Strand zu schlafen – nachts soll es ziemlich feucht werden. Aus der zweiten Idee wird auch nichts. Das Hotel ist mit 55€ pro Einzelzimmer sogar über den Kaliningrader Verhältnissen. Danach fällt Leo noch das zentral gelegene Motel ein, wo ich für 8€ unterkomme. Ohne Leo wäre ich hier verloren gewesen, ohne seine Hilfe wäre es in beiden Unterkünften sehr schwer geworden, mich sprachlich zu verständigen. Auch viele der Bewohner, die ich zwischendurch antreffe und frage, sprechen kein Englisch. Leo besucht übrigens auf die russische Schule der Stadt und geht demnächst für einige Wochen nach England, um sein Englisch aufzubessern.