Tag 34 – Fahrstil auf Landstraßen
FR, 2. August 2013 – Fahrstil auf Landstraßen
Cēsis (Wenden) – Tartu (Dorpat)
Nach einem frühen Mittagessen schließe ich eine Konsequenz aus den letzten Tagen und Wochen: weg vom Radweg, rauf auf die Fernstraße! Die Entscheidung ist sehr gut, die Strecke bis zur lettisch-estnischen Schwesternstadt Valka/ Valga (Walk) läuft optimal und meistens habe ich Rückenwind. In Valka gebe ich wie gewohnt den Rest der landeseigenen Währung, die letzten Lati, für Essen aus. Dieses Mal in einem kleinen Lokal, welches von den Preisen und dem Publikum den Eindruck vermittelt, als wäre es die Kantine der Kleinstadt. Im estnischen Valga schaue ich beim Informationszentrum vorbei, da es auf dem Weg liegt. Als ich vom Rad steige, spricht mich ein älterer Herr (ca. 75) an und fragt mich etwas. Als ich ihm auf Englisch sage, dass ich seine Sprache nicht spreche, fragt er mich auf Deutsch, wie viel Kilometer ich denn pro Tag fahre. Nach einem sehr kurzen Gespräch verschwindet er wieder. Im Büro selbst frage ich, ob ich um diese Uhrzeit denn noch irgendwo Geld wechseln kann. Anscheinend nicht. Als ich wieder draußen bin, kommt die die junge Frau (25) heraus und ruft mir zu, es gebe doch noch ein Geschäft, in dem ich bis um 18 Uhr, also noch knappe 20 Minuten wechseln könne. Sie zeigt mir die Richtung dorthin, zur Sicherheit frage ich aber eine weitere Frau (ca. 50) auf dem Weg. Sie meint, sie sei ebenfalls gerade auf dem Weg zur Wechselstube und begleitet mich. Ihrer Meinung nach spricht sie nicht gut Englisch, sie habe viel lieber Spanisch gelernt. Also Sprachwechsel, wonach wir uns viel besser verständigen können. Nach dem Geldwechsel fahre ich auf der E264 nach Tartu.
Noch mal zurück zum Fahrstil: In 30er-Zonen mag es ja passen, was man uns als Kind beigebracht hat, immer schön rechts am Straßenrand fahren. Auf Landstraßen ist das aber total schwachsinnig und gefährlich. Denn man bewegt viele Autofahrer dazu, möglichst eng an einem auf dem selben Fahrstreifen vorbei zu fahren. Den Autofahrern hat man nämlich wohl auch beigebracht, immer auf dem rechten Seitenstreifen zu bleiben. Bloss nicht den Mittelstreifen überqueren! Auch wenn sie dabei einen Radfahrer gefährden und auf der linken Spur kilometerweit kein Auto in Sicht ist, also genügend Platz zum Ausweichen wäre. Und das habe ich bisher in jedem von mir befahrenen Land so erlebt, mal mehr, mal weniger. Also in Süd-, Nord-, West- und Osteuropa, der Türkei und im Nahen Osten. Besser man fährt so weit abseits vom Straßenrand, dass das überholende Auto gezwungenermaßen auf die Gegenspur ausweichen muß. Dann haben nämlich viele kein Problem mehr damit, gleich ihr ganzes Fahrgerät auf diese Spur zu setzen. Einige hupen dann zwar, im Endeffekt ist es aber um Einiges ungefährlicher als am Rand zu fahren. Mir ist es jedenfalls lieber, angehupt als angefahren zu werden.
Punktgenau am Ende der langen Dämmerung komme ich in Tartu an. Gut zu befahrene und ausreichend beleuchtete Radwege fangen hier übrigens schon einige Kilometer vor den größeren Städten an - im Gegensatz zu Riga. Das Hostel der zweitgrößten Stadt des Landes ist leicht zu finden. Von den Gästen im Hostel sind um 23 Uhr gerade mal drei in der lebendigen Stadt unterwegs, 15 liegen im Bett. Und es ist Freitag Abend! Zum Glück ist Triin (24) da, die an der Rezeption des Hostels arbeitet und um Mitternacht Feierabend hat. Mit ihr gehe ich in die Innenstadt, wo sie mich herumführt. Und zwar sowohl im kulturellen Bereich wie auch in verschiedenen Bars. Etwas Besseres hätte mir heuet Abend nicht passieren können. In den meisten bisher von mir bereisten Ländern erkennt man am Aussehen der Menschen, wo man gerade ist. Seit Litauen ist das aber nicht so. Besonders heute Abend habe ich das Gefühl, ich könnte auch in Freiburg oder Basel sein. Einziger Unterschied ist die Sprache und die sehr geringe Anzahl an Migranten. Freitags ist hier übrigens am meisten los.