Tag 02 - Bergauf und Umwege fahren
Tag 02 – Samstag, 30.Juni 2012: Bergauf und Umwege fahren
Oberalppass – Chur
Eiskalte Nacht
Diese Nacht war deutlich kälter als ich es erwartet hatte. Die minimale „Bettausrüstung“ mit Isomatte, Bezug und Deckenbezug (ohne Decke) war definitiv zu dürftig. So habe ich schon beim Einschlafen eine Jeans und ein Sporthemd getragen, was die Nacht zuvor in Basel viel zu warm gewesen wäre. Nachts um 1 bin ich wegen der Kälte aufgewacht und habe mir noch einen Pullover, eine zweite Jeans und Socken angezogen. Ich bin davon ausgegangen, dass das ausreichen müsste, um gemütlich weiterschlafen zu können. Leider war das aber noch nicht genug. Um 3 Uhr bin ich erneut aufgewacht und habe es mit einem zweiten Paar Socken und meiner Sportjacke versucht. Und das musste ausreichen, denn mehr war mit meiner Ausrüstung kaum zu machen. Warm war das zwar nicht, aber wenigstens ausreichend, bis ich morgens gegen 8 aufgestanden bin. Für solch niedrige Temperaturen war ich nicht ausgerüstet, für den Rest der Reise wird es aber hoffentlich reichen. Beim Aufstehen bin ich erstaunt über die angenehm warme Temperatur draußen, die ich dann auch gerne in die kalte Hütte reinlasse. Ich will mich noch beim Besitzer des Restaurants bedanken, er ist aber nicht da. Dafür darf ich dank der jungen Bedienung, welche ich schon gestern getroffen habe, meine Morgentoilette verrichten.
Tour durch Graubünden
Nachdem ich gestern von der geplanten Strecke entlang des Rheins keinen Zentimeter zurückgelegt habe, will bzw. muss ich heute mehr erreichen, deutlich mehr. So fahre ich gegen 9 Uhr los und kann die umwerfenden Aussichten und die fast leere Straße genießen. Die Strecke durch die Gebirgslandschaft ist anfangs geprägt von den talwärts führenden Serpentinen. Diese endet aber bald und ich fahre einige Stunden weiter auf Radwegen. Oft laufen diese parallel zu den Autostraßen, dafür aber nicht durchaus eben wie diese, sondern über viele Hügel, Waldstücke und Auen. So fahre ich abwechselnd eine lange Zeit aufwärts und darauf für einige Minuten steil abwärts. Sie sind zudem oft nicht geteert, sondern voller Kies oder Geröll, was das Bremsen zu einer reinen Rutscherei werden lässt. Ehrlich gesagt kann ich diese Art von Strecken nicht leiden. Unterwegs treffe ich ein junges südenglisches Radfahrerpärchen, das mir definitiv davon abrät, weiter auf dem Radweg zu fahren, eben aus dem oben genannten Grund. Sie wollen übrigens über Italien nach Griechenland fahren.
Weiter geht es also auf der Straße. Bald beginnt an dem sich rasch verbreiternden Vorderrhein die Ansiedlung erster industrieller Anlagen und Kieswerke. Sie prägen den Fluss bis zu seiner Mündung in die Nordsee. In Ilanz decke ich mich ausreichend mit Essen und Trinken ein und gönne mir gleich ein ausgiebiges Frühstück. Bald darauf öffnet sich das Tal, das durch den Flimser Bergsturz vor über 9.000 Jahren entstand. Der Blick von der Aussichtsplattform oberhalb von Valendas auf die Rheinschlucht (Ruinaulta) ist atemberaubend. Weiter geht es über Reichenau/ Tamins, wo der Hinter- und Vorderrhein zusammenfließen. Die heutige wunderschöne Wegstrecke kann man übrigens auch mit dem Zug bewältigen.
Ankunft in Chur und Waschen im Rhein
Kurz nach 18 Uhr erreiche ich nach einigen Kilometern abseits des Rheins die Höhe von Chur. Die Aussichten, die ich heute genießen durfte, waren unvergesslich, aber ich bin ziemlich erschöpft. Vor allem frustriert es mich, dass ich die geplante Strecke bis Chur nur geschafft habe, weil ich neun Stunden ohne größere Pause gefahren bin. Und eigentlich wollte ich schon am ersten Tag Chur erreichen und heute schon kurz vor dem Bodensee sein.
Suche nach Übernachtungsmöglichkeit & Prostituierte
Bevor ich mich auf die Suche nach einem Schlafplatz mache, will ich mich noch waschen. Was bietet sich da besser an als der Rhein? Ich fahre wieder zurück ein Stückchen flussaufwärts, bis ich eine kleine Einbuchtung finde, deren Strand sandig ist. Das Wasser ist noch recht kalt, aber immerhin wärmer als der Oberalpsee. Und wenn man nur kurz reingeht und sich wäscht, ist das kein Problem. Das Geschenk hierfür ist die Wärme, die man nach dem Aussteigen aus dem Fluss verspürt, der „Kälteschock“. Frisch gewaschen und gekleidet geht es weiter zum Campingplatz „Camp au Chur“. Dort darf ich mir im Restaurant zwar zwei Bier gönnen, aber nicht übernachten. Die Bedienung meint, dass ich hierfür ein Zelt oder einen Wohnwagen mitbringen müsse. Da ich keines von beidem bei mir habe, muss ich nach einer anderen Möglichkeit suchen. Vorausschauend habe ich mich schon bei der Fahrt hierher umgeschaut und weiß, wo ich diese Nacht verbringen kann und fahre eine kurze Strecke zurück zum Industriegebiet. Hier wird sich sicher ein überdachter Eingang zu einer Lagerhalle finden, an dem ich mich unbemerkt niederlassen kann. Allerdings ist dies keine gute Idee: Die Hauptstraße ist hier in der Hand von Prostituierten. Nichts gegen die jungen Frauen, aber schlafen will ich hier nicht. Dafür sind mir hier zu viele Männer unterwegs, denen ich nicht traue. Was also tun? Ich erkundige mich bei einer der Damen einfach nach der nächsten Kneipe bzw. einer Tankstelle, da ich dort vielleicht einen Tipp erhalten werde. Doch die junge Dame kann bzw. will mich nicht verstehen. Da hilft es auch nicht viel, dass ich meine mittelmäßigen Spanischkenntnisse, die immerhin für ein halbes Jahr Aufenthalt in Barcelona (2004/ 2005) gereicht haben, anwende. Statt einer hilfreichen Unterstützung erhalte ich aber mehrfach das Angebot „Ficki, ficki“. Die Prostituierte ist auf der ganzen Reise übrigens eine von nur zwei Personen, die mir von sich aus ein „Bett“ anbietet. Aber natürlich nur gegen Bezahlung. Die Suche geht also weiter und ich fahre in der nahenden Dunkelheit zurück Richtung Rhein. Nach einer knappen halben Stunde habe ich einen Platz gefunden, mit dem ich mehr oder weniger zufrieden bin: der überdachte Eingangsbereich des Vereinsheims neben einer Schiessanlage…
Bad im Rhein |
Chur, Industriegebiet |