Tag 89 - Eine Friedensdemo und das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in Bethlehem
DO, 28.06.2007: Eine Friedensdemo und das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in Bethlehem
Bethlehem, Beit Sahur
Beim Mittagessen im Kinderhospital fühle ich mich immer mehr wie daheim: Die Krankenschwestern sind hier genauso am quatschen, tratschen und qualmen wie ich es von deutschen Krankenhäusern und Seniorenzentren gewohnt bin.
Suche nach einem Handyladen
Vorgestern fiel mir bei der Fahrt durch Jerusalem mein Handy aus der Tasche, die Anzeige ist jetzt im Eimer. Also mache ich mich auf die Suche nach einem Handyladen. Dabei komme ich in Kontakt mit einem Jungen (ca. 17), der in Kanada wohnt und dessen Eltern aus Bethlehem stammen. Er selbst findet es hier beschissen und möchte am liebsten so schnell wie möglich wieder weg. Da er nichts zu tun hat, macht er sich mit mir auf die Suche nach einem Laden. Leider bekomme ich nicht besonders viel von ihm mit, da er ein mir recht unverständliches Englisch spricht. Wenigstens hat er von seinen Eltern nicht die arabische Angewohnheit übernommen, Fremde immer gleich an der Hand zu nehmen, wenn man ihnen etwas zeigen will. Mit ist das nämlich – trotz guten Willens – eher unangenehm, wie ein kleines Kind durch die Gassen gezogen zu werden. Wenigstens hatten dabei bisher die jungen Mädchen immer was zu kichern, wenn sie den jungen verunsicherten Europäer im Schlepptau eines erfreuten Landsmannes gesehen haben. Nach einigen Erkundigungen – er spricht arabisch – und ein paar Fehlversuchen finden wir auch ein Geschäft, in dem ich bedient werde. Der Preis (ca. 15€) ist natürlich „ein Superangebot“ – wie alles, was man in arabischen Geschäften kauft.
Besuch bei Friedenszentren
Am Morgen habe ich mich bei Erwin nach einer angeblichen Kundgebung gegen Gewalt und Terror, die heute stattfinden soll, erkundigt. Er hat das praktischste in diesem Fall gemacht: Er hat den Bürgermeister Bethlehems, Dr. Victor Hanna Jubrail Batarseh, angerufen uns sich informiert. Der hat geantwortet, die Demonstration der Fatah würde ab etwa 17 Uhr stattfinden, genau wisse er das aber auch nicht. Hier soll ein Zeichen gesetzt werden gegen Gewalt und für ein friedliches Zusammenleben unter den verschiedenen (religiösen und politischen) Gruppen in Bethlehem.
Also lasse ich mir noch ein bisschen Zeit und erreiche gegen 18 Uhr den Platz vor dem „Peace center“ (s. www.peacenter.org), zwischen der Geburtskirche und der Omar-Moschee. Vom Inhalt bekomme ich aus sprachlichen Gründen natürlich nichts mit. Dass aber auch einige Vertreter der christlichen Kirchen in erster Reihe vertreten sind, lässt auf interreligiöse Interessen und Zusammenarbeit schließen.
Nach der Kundgebung mache ich mich auf die Suche nach dem „Sirajcenter“ (s. www.sirajcenter.org) in Beit Sahur, einem der Friedenszentren in Palästina (weitere: www.pcr.ps, www.imemc.org). Beit Sahur ist ja wirklich nicht besonders groß. Dennoch muss ich mich eine knappe Stunde durchfragen, bis ich das „Sirajcenter”, kurz bevor ich aufgeben will, gefunden habe. Und das ist hier, wo es nur bergauf und bergab geht, besonders drückend. Das Auffinden war aber auch nur ein Zufall: Man hat mich zu einem gewissen George geschickt – der habe viel mit Touristen zu tun und wisse bestimmt Bescheid. Dass dieser George auch noch Chef des „Sirajcenter“ ist, war meinem Informanten nicht bekannt. Meine Überlegung, eine Mauer habe für die darin Eingesperrten wenigstens den Vorteil, dass man sich besser kennen lernt, hat sich also als Irrtum erwiesen.
Im Zentrum findet momentan ein Sommerkurs statt (die Teilnehmer sind vor allem aus den USA). Das Programm: Land, Leute, Religionen und Kultur kennen zu lernen, in einer Schule mitzuarbeiten und: Arabisch zu lernen. Heute Abend läuft der Film „Occupation 101“ (s. www.occupation101.com). Danach sind alle – nach einem langen Tag – leider gleich weg. Ich kann mich nur kurz mit Michal Awad unterhalten, der auch sehr gut deutsch spricht. Leider eben nur ganz kurz, denn er muss eine der Teilnehmerinnen, die sich heute was am Fuß angebrochen hat, mit dem Auto zu ihrer Unterkunft bringen. In den nächsten Tagen werden wir uns aber noch mal kontaktieren.
Blick auf Har Homa |
Beit Sahur, Palestinian Centre for Rapprochement |
Bethlehem, auf Papa warten |
Bethlehem bei Nacht |
Bethlehem, Bierauswahl |
Bethlehem, Alkoholauswahl |
Christen und Muslime in Bethlehem
Als Abschluss des Tages begebe ich mich in Bethlehem noch in einen Kiosk, in dem es fast nur Bier und andere alkoholische Getränke gibt. Die meisten Käufer sind laut den Verkäufern übrigens Moslems. Zu den Anteilen der Religionen in Bethlehem etwas zu sagen, ist sehr schwer. Die Zahl der Christen liegt, je nachdem, welche Interessen die Quelle vertritt, zwischen 2 und über 50%, bzw. zwischen 3.600 und 75.000 (s. www.hagalil.com/01/de/Israel.php?itemid=282). Unbestreitbar ist aber, dass hauptsächlich Christen aus Bethlehem und Palästina auswandern. Und zwar in einem Ausmaß, dass inzwischen viel mehr palästinensische Christen im Ausland leben als in Palästina selbst – in Chile z.B. leben mehr Beit Jalis als am ursprünglichen Heimatort. Und, dass sie in Bethlehem, wo sie bis 1948 die absolute Mehrheit bildeten, inzwischen eindeutig eine Minderheit sind („wir haben Bethlehem aufgegeben“). In Beit Sahur und Beit Jala gibt es allerdings noch christliche Mehrheiten. Politisch sieht es folgendermaßen aus: Der Bürgermeister und sein Vize müssen laut Gesetz Christen sein. Unter ihm sind im Stadtrat aber hauptsächlich Mitglieder der muslimischen Hamas.
Auch wenn es noch so viele Friedensprojekte, gemeinsame Interessen und einen vermeintlich gemeinsamen Gegner gibt, spürt und hört man hier in Bethlehem schon, dass die Angehörigen der beiden Religionen selten eins sind und übereinander schimpfen. Und zwar in einem Ausmaß, dass man gelegentlich Angst bekommt. Ehrlich gesagt fange ich sogar bald an, mich davor zu drücken, ein Gespräch über Religion zu führen oder gar zu beginnen. Das, was ich dann nach kurzer Zeit - von Christen – nämlich zu hören bekomme, bekommt mir überhaupt nicht gut. Und eines sollte man sich bewusst machen: Freundlichkeit und Hilfe resultiert bei Arabern oft aus einer kulturellen, traditionellen und sozialen Verantwortung. Vertrauen bedeutet das noch lange nicht. Und man kann sich bei der arabischen Bevölkerung von einer Sekunde auf die andere vom Freund zum Feind verwandeln. Man sollte also das Spiel einigermaßen mitspielen, nicht gleich alles Private rausplaudern und keine Grundsatzdiskussionen beginnen.
Der Konflikt zwischen den Religionen ist also ein sehr heikles Thema. So wollte die ARD im vergangenen Jahr, am 12.März 2006, eine Reportage des Israelis Uri Schneider mit dem Namen „Terror gegen Christen – Bethlehems bedrohte Minderheit“ senden. Aus Gründen des Informantenschutzes wurde die Sendung aber kurzfristig aus dem Programm genommen. So hatten im Film vorkommende Personen wie auch christliche Institutionen befürchtet, eine Ausstrahlung habe massive negative Folgen für sie. Die Dokumentation berichtet von einer seit zehn Jahren angeblich bestehenden Terrorisierung der christlichen Minderheit durch islamische Fundamentalisten: „Mord, Landraub, Vergewaltigung, Gewalttaten auf offener Straße”, bei der die palästinensische Autonomieregierung und ihre Sicherheitskräfte angeblich tatenlos zuschauten (vgl. www.pro-medienmagazin.de/themen/fernsehen/fernsehen-single/browse/6/article/informantenschutz-ard-streicht-film-ueber-terror-gegen-christen/?tx_ttnews%5BbackPid%5D=17&cHash=4ebc341e6d).
Das zeigt, dass eine kritische und aufklärende Berichterstattung hier sehr schwer geworden ist. Dabei sind aber nicht die Berichterstatter, sondern die Informanten gefährdet. Ähnliche Beispiele aus anderen Ländern – Deutschland und Ägypten – zeigen, dass dieses Problem auch bei uns besteht. Wenn man also Sätze wie „Wir haben absolut keine Probleme miteinander” hört, sollte man dem nicht immer gleich Glauben schenken (vgl. www.nzz.ch/2006/04/07/em/articleDQ38G.html). Zu bedenken ist aber, dass diese Probleme in Bethlehem recht neu sind. Tatsächlich handelt es sich auch nicht um religiöse Differenzen, die Ursachen sind zu suchen in den raschen Veränderungen, die Art des Lebens und Nachbarschaftsstreit. Und was den Christen wohl eher Angst bereitet als die Anzahl der Moslems ist deren Erscheinungsbild: Bis in die 70er war es bei den muslimischen Frauen sehr unüblich, Kopftücher zu tragen, heute machen es fast alle – eine weltweite Entwicklung. Auf die Frage nach dem Wieso stehen einige Antworten parat: Abgrenzung von anderen Religionen, Abgrenzung zum Westen, Radikalisierung.
Man muss sich mit seinem Hass aber nicht allein auf andere Religionen beschränken. Nein, man kann ihn auch in der eigenen (Groß-)Familie ablassen: Wenn man jemanden nicht mag, kann man ihn einfach bei den Israelis denunzieren, als Terrorist z.B. Somit wird er mit Sicherheit keine Arbeitserlaubnis in Israel mehr bekommen.
Zurück zum Konflikt zwischen den Religionen und Emigration: Durch die Besatzung, Unterdrückung und Perspektivlosigkeit ist somit das geschehen, was sich Israel erhofft hat: Die Elite, die eben hauptsächlich die Christen bilden, ist abgewandert. Kein Wunder – wer etwas aus seinem Leben machen will und den westlichen Lebensstandard bevorzugt, hat hier kaum Möglichkeiten dazu. Und verkauft werden die Häuser – aus kapitalistischen Gründen – eben an die Meistbietenden, egal welcher Religion sie angehören. Die Moslems wiederum geben sich zum Großteil meistens damit zufrieden, einfach nur in Bethlehem zu wohnen. Aus Erfahrung man weiß aber, was in diesem Falle passieren kann: Die Gesellschaft zerfällt.