Tag 88 - Ein Tag im Babyhospital

MI, 27.06.2007: Ein Tag im Babyhospital 

Bethlehem 

 

Führung durch das Hospital 

Am Morgen gehe ich zu Erwin Schlacher, einem Österreicher, der hier für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Nach einer herzlichen Begrüßung richte ich ihm auch noch Grüße von Pater Rainer Fielenbach aus, über dessen Newsletter ich regelmäßig über die neuesten Entwicklungen im Nahen Osten informiert werde. Er führt mich durch das Babyhospital (www.khb.ch) und stellt mich den Stationen und Abteilungen vor. Ich war schon als Zivi in einem Krankenhaus und habe auch in einem Seniorenzentrum gearbeitet, aber ein Kinderkrankenhaus ist schon etwas Spezielles. Hier nicht berührt zu sein, würde wohl jedem schwer fallen. 

Bei meinem Start und nicht mal bei meiner Ankunft war mir klar, welche Bedeutung die Fahrt für die Menschen hier hat. So war die Spendenaktion eigentlich nur ein Aspekt meiner Reise neben meinen anderen Interessen, Vorhaben und Plänen. Der gute Zweck der Aktion war mir schon bewusst, nicht aber dieses Ausmaß: Die Leute, die hier arbeiten, sind zutiefst angetan von der Tour und davon, dass jemand aus Deutschland mit dem Rad zu ihnen fährt. Zu oft haben sie – inzwischen besonders durch die Mauer – den Eindruck, von der Welt abgehängt zu sein und vergessen zu werden. Nur an Weihnachten kommen viele Menschen in die Geburtsstadt Jesu, allerdings nur für wenige Stunden. Mein Besuch scheint ihnen den Eindruck zu geben, eben nicht vergessen zu sein. Dass viele so gerührt sind, bewegt natürlich auch mich. Ein wirklich besonderes Erlebnis auf der Tour. 

 

 

 Bethlehem, Smoking area in der Kantine des Kinderspitals
Bethlehem, Smoking area in der Kantine des Kinderspitals
 Bethlehem
Bethlehem
 Bethlehem, die Mauer vor der Tür
Bethlehem, die Mauer vor der Tür
 Bethlehem, umzingelt von der Mauer
Bethlehem, umzingelt von der Mauer
 Bethlehem, abends vor dem Kinderspital
Bethlehem, abends vor dem Kinderspital
 Bethlehem
Bethlehem
 Bethlehem, Mauer vor dem Kinderspital
Bethlehem, Mauer vor dem Kinderspital
 

 

Zum Babyhospital und zur Situation in Bethlehem 

Die humanitäre, wirtschaftliche, medizinische und soziale Hilfe, und besonders die unparteiische Haltung des Babyhospitals sind eine Konsequenz des langjährigen Konfliktes in der Region. Hier wird, gemäß dem Motto des Barmherzigen Samariters, jedes Kind angenommen, Religion, sozialer Status oder finanzielle Mittel spielen keine Rolle. Es geht darum, den Menschen zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind, sondern hier empfangen und angenommen werden. Besonders, weil das Leben in diesem Land immer schwieriger wird. So ist das Babyhospital ein Zeichen der Hoffnung. Dieses Angebot soll noch ausgebaut werden und kommt letztendlich den Kindern und dem Land zugute.  

Das Babyhospital ist eine Non-profit-organization, arbeitet also kostendeckend. Als einer der wenigen Arbeitgeber in Palästina bietet es eben nicht nur die begehrten Arbeitsplätze, sondern auch die bei uns übliche Kranken- und Rentenversicherung an und ist somit auch ein Vorbild für die arabische Welt. 

  

Nach drei Jahren Unterbrechung sind seit Januar auch wieder Babys aus Jericho und Ramallah hier. Bisher durften diese nicht durch die israelischen Checkpoints – aus Sicherheitsgründen! Schwangere Frauen dürfen oft auch nicht über die Checkpoints zu den Krankenhäusern. So gab es etwa zwischen September 2000 und Juli 2002 an den Checkpoints 33 Entbindungen, 27 Neugeborene sind gestorben (vgl. www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=43186). 

  

Die Erziehung ist auch einer der Aspekte, die eine wichtige Rolle spielen im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern: Werden israelische Kinder meistens liberal erzogen, so herrscht in Palästina meist eine autoritäre Erziehung. Dabei bekommen die palästinensischen Kinder in Fernsehen und Medien vieles mit, was gar nicht in ihre reale Welt passt. Orientierungslosigkeit und Unsicherheit sind oft die Folgen davon. Das mag ein Grund dafür sein, dass dann die beiden großen Kinder Israel und Palästina nicht miteinander können. 

  

Das besonders Schöne an der Arbeit hier: Kinder sind offen und dankbar. Das Babyhospital ist aber nicht allein für die Babys da, sondern auch tätig beim Beziehungsaufbau zwischen Kind und Mutter. Hier erfahren die Mütter eine Ruhepause, viele erleben hier eine andere Welt der Geborgenheit und Sicherheit, in der sie als Mensch angenommen werden. Auch hier gibt es einen starken Kontrast bei wenigen Kilometern Luftdifferenz: Gibt es in Israel viele „Wellness-Farmen“, so sind im Babyhospital Frauen, die das erste Mal erleben, dass aus einem Wasserhahn auch warmes Wasser kommen kann. 

  

Ein Problem der palästinensischen Gesellschaft, an das man erst gar nicht denkt, das aber  durch den Mauerbau und die fehlenden Kontaktmöglichkeiten nach außen verstärkt wird: Man heiratet unter sich, z.B. den Neffen ersten Grades. Die Auswirkungen sind letzen Endes hier im Kinderhospital Bethlehem anzutreffen: häufige Behinderungen der Kinder.  

Ich erfahre auch, dass es in manchen kleineren jüdischen Siedlungen auch nicht anders aussehen soll. Dort könnten und würden zwar problemlos neue jüdische Bewohner aufgenommen werden, diese wollten aber nicht und zögen das israelische Kernland vor.  

  

  

Über Palästina, die Familie und die Gastfreundschaft 

Nach der Führung gehe ich mit Erwin zum Mittagessen, wo wir uns lange und ausgiebig – wie während meinem gesamten Aufenthaltes – über die Situation hier unterhalten, besonders das soziale Leben und die Auswirkungen von Politik, Gesellschaft und Religion. 

Der Kinderhilfe wird in Gesprächen sehr viel anvertraut, Fremden (aus dem Ausland) gegenüber sind die Menschen noch offener, da sie wissen, dass diese „anders“ sind. Die Funktion des Babyhospitals kann man aber nur verstehen, wenn man die palästinensische Gesellschaft kennt: Was das Leben hier trotz Ausgangssperre, Mauer und Arbeitslosigkeit noch zusammenhält, ist die Familie. Deren Wert geht über alles. Wenn man irgendwo eingeladen ist – Kinder sind immer dabei, auch bis spät in die Nacht hinein. 

Auch die Gastfreundschaft wird hier sehr groß geschrieben, wobei es aber kräftig mangelt an der Bereitschaft miteinander zu teilen. Dies wird inzwischen verstärkt durch eine zunehmende Kapitalisierung und die Tatsache, dass sehr viele finanziell und seelisch am Limit angelangt sind als Folge der Intifada II und des Mauerbaus. Gerade deswegen sind hier so viele Menschen davon angetan, was ich durch die Reise erreichen wollte und habe: Hilfe für andere, für Babys und Kinder. Wie gesagt, einen finanziellen Gewinn habe ich selbst nicht davon. 

  

Besatzung und Militär: Eine Besatzung im üblichen Sinn gibt es in der Westbank nicht mehr so wie noch vor einigen Jahren. So ist Bethlehem z.B. “palästinensisches Autonomiegebiet” , in Wirklichkeit aber infolge der Mauer ein großes Freiluft-Gefängnis.  

Ausgenommen bzw. ausgeschlossen vom israelischen Militärdienst sind streng orthodoxe Juden, israelische Moslems und Christen (Palästinenser). Ausnahmen, die in der Armee dienen können, sind vor allem Drusen sowie Beduinen aus dem Negev  (http://de.wikipedia.org/wiki/Israelische_Streitkr%C3%A4fte). 

  

Vertreibung: Nahe an Bethlehem befindet sich das Flüchtlingslager Dheisheh. Hierher kamen die im Unabhängigkeitskrieg/ Naqba 1948 aus den Dörfern westlich von Jerusalem Vertriebenen. Im Jahr 2000 hat hier Johannes Paul II. auf seiner Nahostreise zu den Bewohnern gesprochen (s. www.vatican.net/holy_father/john_paul_ii/travels/documents/hf_jp-ii_spe_20000322_deheisheh-refugees_ge.html). 

  

Mauerbau: Israel spricht beim Mauerbau von Sicherheit. Er ist aber eindeutig Landraub an palästinensischem Boden und Festlegung von neuen Grenzen. Als Deutscher habe ich natürlich einen besonderen Bezug zu Mauern. 40 Jahre litten wir unter der Teilung Deutschlands, deren sichtbarstes Zeichen die Berlinger Mauer war. Sicher sind die beiden Mauern schlecht miteinander zu vergleichen. Bewirken tun sie aber das Selbe: Als Fremder darf man nicht oder nur erschwert dahinter schauen. Eine gute Methode, um das ganze Elend zu verstecken, das in den palästinensischen Gebieten herrscht. Es gibt aber viele israelische Organisationen, die dagegen arbeiten (s. www.machsomwatch.org; zur Mauer s. www.ai-oldenburg.de/page/div_israel.html). 

 

Mobilität: Der Nahe Osten ist eigentlich wunderschön und unglaublich interessant. Früher konnte man – mit dem Auto – in weniger als einer Stunde von Jerusalem nach Amman in Jordanien fahren. Heute kommt man ohne Arbeitserlaubnis und gute Nerven nicht mal die paar Kilometer von Bethlehem nach Jerusalem. Israelis dürfen meines Wissens nach gar nicht nach Bethlehem (und andere palästinensische Gebiete). Wenn Palästinenser mit Erlaubnis aus dem Land dürfen, haben sie seit 2002 nur noch die Möglichkeit, über Amman zu fliegen, der Flughafen von Tel Aviv ist tabu (Ausnahme: Schwerverletzte). Die Älteren hier kennen es noch, zum Meer zu fahren, für die Jungen ist das unbekannt und unmöglich – aus „Sicherheitsgründen“ für Israel.

 

Beziehungen und Intimität: Jungs dürfen alles, Mädchen müssen bei der Hochzeit noch Jungfrau sein. Wenn eine mit dem angehenden Mann vor der Hochzeit schläft, gilt sie für ihn schnell als Schlampe, da sie nun verdächtigt wird, es auch schnell mit anderen Männern zu treiben. Aus der Ehe wird also nichts und die Frau ist ihr Leben lang gestraft mit einem schlechten Ruf. Der Mann allerdings kann gelassen seine Wege weiterschreiten. Meinen Beitrag zum Libanon zu diesem Thema (s. www.reise-nach-jerusalem-2007.de/tagebuch78.html) muss ich allerdings korrigieren: Es sind hier lange nicht Zustände wie im Mittelalter, in Deutschland war es zur Zeit der „heilen Familie“ (etwa zwischen 1945 und 1970) auch nicht viel anders. Erst langsam hat man sich bei uns (wieder) geöffnet für Beziehungen zwischen den Konfessionen, dass Mädchen abends allein ausgehen dürfen, man sich öffentlich Hand-in-Hand zeigen und sogar knutschen darf, Sex vor der Ehe, Homosexualität und so langsam akzeptiert man auch die Sexualität im Alter. Alles Schritte, die hier in Bethlehem noch nicht getan sind, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Hinter verschlossenen Türen gibt es aber alles, daran besteht kein Zweifel.

 

Israelis: In mehreren Gesprächen bekomme ich noch Hinweise zu den Israelis: Nicht drumherumreden, sondern direkt sagen, was Sache ist und was man will. Die Israelis haben es angeblich nämlich nicht gern, wenn man nicht zum Punkt kommt. Das soll für mich kein Problem sein, ich habe es auch lieber offen und ehrlich. Ich frage mich aber, wie die Israelis dann mit den verbündeten Amis klarkommen, die – jedenfalls nach den Klischees – mehr labern als Inhalt vermitteln.

 

Köln: Die Stadt, in der ich meinen Zivildienst abgeleistet habe, ist die erste deutsche Stadt, die mit einer palästinensischen Stadt, mit Bethlehem, eine Partnerschaft eingegangen ist. Einer der Hintergründe ist wohl, dass Bethlehem die Geburtsstadt Jesu ist, in die “Weise aus dem Osten” kamen, um “dem Kınd zu huldigen”. Aus diesen wurden im Laufe der Zeit die “Heiligen Drei Könige” , deren Reliquien sich seit 1164 im Kölner Dom befinden.

 

 

Aus einem geplanten Interview mit dem Radio von Bethlehem (s. www.radiobethlehem2000.net) wird aus Zeitgründen leider nichts mehr.

 

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 20 Feb 2016 11:57:55

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