Tag 87 - Ankunft am Ziel der Reise - erschöpft aber munter
DI, 26.06.2007: Ankunft am Ziel der Reise - erschöpft aber munter
Jericho – Kloster St.Georg – Jerusalem – Bethlehem
Letzte Besichtigungen und Besuche in Jericho
Morgens um 8 fahre ich zum Kloster am Berg der Versuchung, diesmal ohne Seilbahn. Hier soll Jesus 40 Tage lang gefastet haben, bis ihm der Teufel erschien und ihn in Versuchung führte. Ich komme gleichzeitig mit zwei südamerikanischen Frauen und deren Kinder an. Nach mehrfachem Klopfen – die Frauen haben sich schon die ersten Schritte auf den Rückweg gemacht – werden wir von einem Mönch eingelassen. Die orthodoxen Mönche haben wohl alle lange Haare, wie es mir scheint. Mit den beiden Damen werde ich aber nicht so recht warm: Auf die wenigen Worte, für die ich wieder mal meinen spanischen Wortschatz entstaube, erhalte ich noch kürzere englische Antworten. Das kommt mir aber eher spanisch vor. So schlecht sind meine Sprachkenntnisse auch nicht, dass ich mich nicht damit verständigen könnte. Aber egal, die Damen sind ohnehin fast nur mit Gebeten und der heiligen Ausstrahlung des Ortes beschäftigt.
Auf dem Rückweg schaue ich mir noch die Ausgrabungsstätte Alt-Jerichos mit seinen biblischen Funden an. Leider scheint hier alles auseinanderzubrechen. Für die alten Gebäude und die Überreste des Stadttores ist wohl das Ende der Zeit nicht mehr fern. Schade. Einen kurzen Besuch ist es jedoch wert.
Eigentlich wollte meine Gastgeberfamilie heute zu einer Familienfeier nach Bethlehem, was sie dann aber doch bleiben lässt: Die „Wartezeiten“ an den Checkpoints sind einfach zu lang. Zudem hat Lora einen anderen Ausweis wie ihr Mann Bschara: Sie hat einen „Jerusalem-Ausweis“, er einen palästinensischen. Das heißt, dass beide über verschiedene Checkpoints an ihr Ziel kommen müssen. Er über Schotterwege und gebirgiges Gelände, sie über einen viel einfacheren und asphaltierten Grenzübergang. Die einzige Möglichkeit, gemeinsam den Weg zu gehen, ist, dass sie ihren Pass versteckt mit sich trägt und dann mit etwas Glück als „Anhängsel“ ihres Mannes über die Grenze kommt. Ein weiterer Grund für die Frauen, nicht zu der Feier zu gehen, ist allerdings, dass die Männer gerne die Möglichkeit nutzen, sich bei den Feiern ordentlich einen hinter die Binde zu kippen.
Somit kann ich mich vor meiner Abfahrt nach Bethlehem noch von meiner Gastgeberfamilie verabschieden. Inzwischen musste ich mich auch von vielen anderen Sachen verabschieden: Haben bei der Abfahrt in Damaskus nur die Kniebandagen gefehlt, sind inzwischen auch der Fahrradhelm und die kurze Hose weg. Das war eindeutig der Einfluss der Sonne und der Hitze, die mir zu schaffen machen. Der Verschleiß hat sein Übriges getan: Eine Hose lasse ich nach zweimaligem Flicken auch hier. Das zweite Paar Handschuhe wird sich nach kurzem Gebrauch auch bald in seine Einzelteile auflösen. Genau so werden die Halterungen der Radgriffe nicht mehr ihrem Namen entsprechen können – sie fallen nach und nach auseinander.
Nach der Verabschiedung decke ich mich im Zentrum noch mit genügend Wasser ein. Auf dem Weg aus der Stadt werfe ich einen Blick auf das (ehemalige) Gefängnis Jerichos, den „PLO-Knast“. Das israelische Militär hat es letztes Jahr halb zerstört, um an Gefangene zu kommen, die 2001 den damaligen israelischen Tourismusminister umgebracht haben. Und die sieht Israel lieber in ihrer eigenen „Obhut“.
Auch in Jericho habe ich einige Sehenswürdigkeiten ausgelassen für eine nächste Tour in dieser Gegend: Hishams Palast, Ausgrabungen am Tel Jericho (bibl. Funde). Nächstes Mal eben.
Jericho, auf dem Weg in die Schule |
Jericho, zerstörtes Gefängnis |
Jericho, palästinens. Checkpoint am Ortseingang |
Die letzte „Pflichtstrecke“ und wundersame Deutschkenntnisse
Kurz nach Jericho geht es fast nur noch bergauf: Ich habe etwa 1200 Höhenmeter auf 30 Kilometern zu überwinden. Fast auf der ganzen Strecke wird neu gebaut und es ist staubig. Die Strecke an sich ist also anstrengend genug, dazu brennt die Sonne auf mich herunter und es ist verdammt heiß. Trotzdem: Der letzte Teil der „Pflichtstrecke“, also bis Jerusalem, ist zu schaffen. Und das muss ich auch, denn auf der Strecke gibt es keine Möglichkeit für einen Zwischenstopp oder eine längere Pause, von einer Übernachtungsmöglichkeit ganz zu schweigen.
Zwischendurch halte ich an einer Autobahnbaustelle an. Ich werde begrüßt mit „Welcome!”, was ich aufgrund der seltsamen Aussprache aber als „Fußball!” verstehe. Sieht man mir aus so weiter Entfernung an, dass ich Deutscher bin und hat man die Fußball-WM letzten Jahres noch so gut und positiv in Erinnerung? Entsprechend überrascht und verdutzt frage ich nach und bekomme ebenso erheiterte Antworten zurück. Der Schatten der Plane ist nötig, da es unerträglich heiß ist. Der Chef, der ein ziemlich arroganter Vollidiot zu sein scheint, kennt aber tatsächlich deutsche Ausdrücke: „Scheiße” natürlich, und, mir unerklärbar „Sie sind in Haft”. Nach langem Überlegen und Bedenken seinerseits darf ich sogar ein Foto machen.
Die Fahrt geht weiter bergauf und ich mache bei jeder möglichen Gelegenheit Pause, was sich aber nur selten ergibt. Die Strecke ist mörderisch. Nicht wegen dem Verkehr, sondern wegen der Hitze, dem absoluten Mangel an Schatten und den permanenten Steigungen. Der Schwarzwald am ersten Tag meiner Reise war ein Klacks dagegen. Schließlich mache ich doch noch eine längere Pause an einer Tankstelle, da ich danach, abseits von der Hauptstraße nach Jerusalem, noch zum Kloster St.Georgins Wadi Quilt fahren will:
Die Fahrt dorthin ist einfach: Nur bergab, und zwar sehr steil, weshalb ich lieber langsam fahre. An die Rückfahrt will ich dabei gar nicht denken. An der Klostereinfahrt angekommen, bemerke ich erst die Distanz zwischen dieser Einfahrt und dem Kloster selbst. Die Entscheidung steht gleich fest: Da gehe ich nicht hin! Ich beschränke mich mit drei anderen Touristen darauf, es bei der Begehung eines Pfades zu belassen, von wo aus man einen schönen Ausblick hat. Allerdings weht dort auch ein heftiger Wind, der ein Gespräch beinahe unmöglich macht. Zu den drei jungen Leuten: Er ist mit seiner Schwester (beide Franzosen) hier, die einen Israeli geheiratet hat. Dieser führt die beiden Geschwister gerade durchs Land.
Nach der „Besichtigung“ geht es also gleich wieder zurück, die ganze Bergstrecke wieder aufwärts. Natürlich anstrengender als die Hinfahrt bergab, aber genau so schnell, da ich aus Vorsicht nicht immer bremsen muss. Immerhin werde ich zum Fotomotiv einiger busreisender Touristen, die über meine Anstrengungen begeistert sind. Nach insgesamt drei Stunden bin ich, zurück auf der Hauptstraße, wieder da gelandet, wo ich abgezweigt bin: auf Meereshöhe. Nach dem anfänglichen enormen Aufstieg gibt es hier sogar Abwechslung: Erst bergab, dann bergauf. Das macht aber nichts. Auch die Sonne, die Hitze und die Anstrengungen durch den inzwischen starken und nervenden Verkehr machen kaum noch was aus. Denn heute werde ich sicher noch Jerusalem und wahrscheinlich auch Bethlehem erreichen. Komme, was wolle.
Ankunft in Jerusalem und Bethlehem
Das erste Stück Land, das auf die Nähe Jerusalems hinweist, ist die große jüdische Siedlung Ma’ale Adumim. Kurz vor 19 Uhr erreiche ich, nachdem ich den Tunnel durch den Scopusberg passiert habe, Jerusalem. Den Stadtplan nicht mehr ganz in Erinnerung, staune ich, als ich die sich den Berg entlangschlängelnde Strasse hinab fahre und beim Blick nach links unerwartet die Altstadt Jerusalem und den Felsendom sehe. Ich bin an meinem Reiseziel angekommen !!
Nach dem riskanten Schießen einiger Fotos auf der Autobahn ziehe ich aber weiter in Richtung Süden, vorbei an unterschiedlichsten Stadtteilen und Flecken Jerusalems mit verschiedensten Bevölkerungsgruppen, vorbei am Neuen Tor und an der Stadtmauer, auf der Suche nach dem Weg nach Bethlehem: Das sollte noch zu schaffen sein bis zur Dunkelheit.
Die Strecke ist jetzt eher eine Vergnügungsfahrt, denn es geht nur noch leicht bergauf und bergab. Nach der heutigen Schinderei ist das hier eher wie ein lockerer Ausflug . Die Ankunft vor Bethlehem ist aber ein krasser Gegensatz zu der in Jerusalem: War ich in Jerusalem erfreut und der Anblick der Stadt sehr entspannend, ist beim Anblick der Mauer um Bethlehem nur Trauer und Wut angesagt.
Das einzig Beruhigende und Wiederaufbauende für mich: Wie bestellt wartet vor der Mauer ein Reisebus zur Rückfahrt nach Jerusalem und die Fahrgäste stehen alle auf und klatschen, als sie mich mit meinem bepackten Rad sehen. Auch werde ich mehr oder weniger erheitert, als ich mir die auf israelischer Seite angebrachten Plakate sehe: „Peace be with you“ und „Jerusalem–Bethlechem – Love and Peace“. Das soll mal jemand verstehen. Wenn das eine Privatperson angebracht hätte, wäre klar, dass es um ein Wunschdenken geht, was ja in Ordnung wäre. Aber von der Regierung bzw. dem Tourismusministerium angebracht, die die Mauer um Bethlehem selbst gebaut hat, an denen die Schilder jetzt hängen? Wie soll man das deuten? Ironie? Unkenntnis? Leben in geistiger Umnachtung?
Zur Mauer:
Die Mauer ist auf der Strecke, auf der sie verläuft, zum Großteil (ca. 80%) völkerrechtswidrig. Wie z.B. hier in Bethlehem. Ihre Gesamtlänge wird nach der Fertigstellung nicht, wie die „Grüne Linie“, eine Länge von ca.350, sondern von knapp 700 km haben und sich weit in die Westbank hineingraben (s. www.passia.org/images/pal_facts_MAPS/WallWeb/index.htm, www.palaestina.org/sonstiges/mauer.php).
Wenigstens komme ich problemlos nach Bethlehem hinein. Auch wenn die junge Dame in dem Wächterhäuschen einen ziemlich groben Befehlston draufhat. Aber ich lasse ihren grimmigen Blick gewähren und schaue so freundlich zurück, wie es in dieser Situation möglich ist.
Das Ziel in Bethlehem ist klar: Erst mal zur Geburtskirche, dann weiterschauen nach einem Schlafplatz. An der Geburtskirche angekommen, setze ich mich und gönne mir ein Bier, mit einigen Bewohnern Bethlehems komme ich ins Gespräch. Da mir das neben der Geburtskirche befindliche Franziskanerhaus zu teuer ist, beschließe ich, es doch noch – unangekündigt – bei der Kinderhilfe zu probieren. Um kurz nach 22 Uhr komme ich dort an und habe auch recht schnell ein Übernachtungsangebot des Schweizers Ernst Langensand, der hier arbeitet. Es folgen natürlich erste Reiseeindrücke und Erzählungen von mir. Somit hat sich die Spendenaktion zu Gunsten des Kinderkrankenhauses, die ich mit meiner Reise verbunden habe (Spenden bis 26.6.2007: 3.558 Euro) auch für mich gelohnt: Freie Unterkunft und Verpflegung im Babyhospital. Was will ich mehr?
Zu später Stunde gehe ich noch an die frische Luft und komme mit einem Pfleger mittleren Alters ins Gespräch. Dabei kommt gleich zur Sprache, woran viele Christen hier denken: An die Auswanderung. Mehr dazu später.