Tag 86 - Ein Bad im Toten Meer und mehrere Checkpoints
Jericho – Totes Meer – Jericho
Es sind gerade Schulferien, die hier länger als 2 Monate dauern. Was aber tun mit den Kindern? Abgesehen davon, dass meine Gastgeberfamilie Neschasch kaum Geld hat, gibt es auch sehr wenige Möglichkeiten, etwas zu unternehmen: Konnte die Elterngeneration in jungen Jahren noch recht problemlos zum Toten Meer (keine 10 km entfernt), ist das für die Kinder heute praktisch unmöglich. Die Mutter sagt, sie hätten in Jericho wenigstens noch den Vorteil, dass es genügend Platz gibt. Wenn sie mal die Chance hat, ihre Verwandten in Jerusalem und Bethlehem zu besuchen, kommt sie sich dort wirklich wie im Gefängnis vor: Durch Grenzen, Zäune und Mauern um die Stadt herum fehlt nicht nur die Ausgangsmöglichkeit, auch die Enge des Hauses und die fehlenden Gärten hätten sie dort gestört. Die Zusammensetzung der Population in Jericho hat sich wie in ganz Palästina in den letzten Jahrzehnten ebenfalls stark geändert: Es ziehen sehr viele Christen weg und verkaufen ihre Häuser, i.d.R. an Moslems. Die zurückbleibenden Christen werden somit mehr und mehr zu einer Minderheit. Stellten die Christen vor 100 Jahren noch etwa 20% der Bevölkerung, sind es heute nur noch geschätzte 2% (www.ritterorden.de/ritterorden/heiliges_land/hintergruende/statistik.shtml?navid=95). Das hängt nicht allein mit der Geburtenrate zusammen, die bei den Moslems um einiges höher liegt, sondern vor allem mit der Auswanderung bzw. Flucht der Christen aus dem Heiligen Land. Mehr dazu später.
Fahrt ans Tote Meer
Ich nutze natürlich die Möglichkeit, zum Toten Meer zu fahren, dem tiefstgelegenen und auch einem der salzhaltigsten Seen der Erde: Der Salzgehalt liegt bei 28% – im Mittelmeer gerade mal bei 3% (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Totes_Meer). Gespeist wird es vor allem vom Jordan, hat aber keinen Abfluss.
Normalerweise verdunstet hier so viel Wasser wie der Jordan liefert. Da der Jordan aber infolge der Trinkwasserentnahme durch Jordanien und Israel immer weniger Wasser führt, ist der Meeresspiegel in den letzten hundert Jahren enorm gesunken. Dort, wo ich heute auf der Westseite des Sees fahre, war dies vor 100 Jahren unmöglich. Das Ufer befand sich damals mitten in der Felslandschaft und unwegbarem Gelände.
Um den Pegel zu stabilisieren, wird von israelischer, jordanischer und palästinensischer Seite darüber nachgedacht, einen „Friedenskanal/ Zweimeereskanal“ zu bauen, der Wasser vom Roten ins Tote Meer leiten soll. Mit einem Baubeginn wird aber frühestens, nach der Machbarkeisstudie, 2011 gerechnet. Vor allem Umweltverbände stehen dem Vorhaben aber kritisch gegenüber: Denn mögliche Auswirkungen auf das Rote Meer und dessen Korallenriffe, mögliche Algen- und Gipsbildung im Toten Meer und insbesondere die beinahe vollständige Ableitung des Jordanwassers sind keine Themen der Studie www.focus.de/wissen/wissenschaft/mensch/tid-7153/riesiges-bauvorhaben_aid_70388.html?drucken=1, www.globalnature.org/docs/02_vorlage.asp?id=24059&domid=1011&sp=D&addlastid=&m1=11088&m2=11102&m3=11165&m4=20075&m5=24059, http://de.wikipedia.org/wiki/Totes-Meer-Kanal).
Allerdings gibt es auch Ideen und Projekte, diese zu verhindern (s. ausführlicher Artikel unter www.scinexx.de/index.php?cmd=focus_detail&f_id=104&rang=1).
Die Höhlen von Qumran und die Oase En Gedi lasse ich aus, dafür ist es mir einfach zu heiß. Nachdem ich bei der Fahrt entlang des Ufers nur noch Bäder finde, die keinen Zugang zum See haben, fahre ich zurück zum Nordende des Sees. Dort gönne ich mir dann mein zweites Bad auf der Reise (nach dem See Genezareth) und lasse mich vom Toten Meer tragen.
Die Rückfahrt nach Jericho hält einige, zum Teil positive Überraschungen für mich bereit:
Checkpoint 1, israelisch: Man macht mich in einem netten, aber auch ernsten Ton darauf aufmerksam, dass Jericho gefährlich sei, da dort nur Palästinenser leben. Und ich solle doch besser an einen anderen Ort fahren. Ich antworte, dass das nicht möglich sei, da mein gesamtes Gepäck in Jericho bei einer freundlichen Familie gelagert ist.
Checkpoint 2, israelisch: Einer der Soldaten will mich länger aufhalten. Ein anderer, mit dem ich mich schon bei der Herfahrt kurz und nett unterhalten habe, hält ihn zurück, winkt mich durch und grüsst mich freundlich mit „Hallo Deutschland“. Sehr amüsant und erfreulich.
Checkpoint 3, palästinensisch: Zum ersten Mal werde ich an einem palästinensischen Checkpoint angehalten. Allerdings will nur einer der beiden Polizisten wissen, was ich vorhabe und meinen Pass sehen. Der andere ist einfach nur erfreut, mal einen Radfahrer zu sehen und lädt mich zu einem Kaffee ein, während der andere noch die Reisestempel meines Ausweises erforscht. Ich lehne aber dankend ab, da ich heute noch die „Cable car“, die um 20 Uhr schließt, benutzen will, um zum Kloster am Berg der Versuchung zu kommen.
Die letzte „Cable car“ erreiche ich mit etwas Glück und habe von dort aus einen wunderschönen Blick auf Jericho. Leider erfahre ich erst oben, dass das Kloster nicht mehr geöffnet hat. Also fahre ich vorsichtig die Straße runter (das Fahrrad konnte ich auf dem Hinweg in der geräumigen Gondel mitnehmen), die steil und voller Geröll ist.
Danach gehe ich gleich in die Stadt und gönne mir noch ein paar „Taybeh“. Als ich „daheim“ wieder ankomme, ist die Familie gegen halb 12 nachts gerade damit beschäftigt, das Abendessen vorzubereiten – die Uhren ticken hier halt anders als bei uns daheim. Einer der Söhne, Elias, ist ganz begeistert von meinem Rad und probiert es gleich aus. Seine Fragen nach meiner Durchschnittsgeschwindigkeit und Fachwissen kann ich aber nur ungefähr beantworten.