Tag 85 - Palästinensisches Bier und eine Fußballnationalspielerin

SO, 24.06.2007: Palästinensisches Bier und eine Fußballnationalspielerin 

Nähe Beit She’an – Jericho 

  

Sehr entspannt und vor allem erstaunt wache ich auf: Ich habe mich nämlich so blöd zwischen die Olivenreihen gelegt, dass jedes Scheinwerferlicht der gegenüberliegenden Ausfahrt der Siedlung mein Zelt getroffen hat. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass mal ein paar bewaffnete Siedler vorbeischauen, um sich zu erkundigen, wer hier (illegal) zeltet. 

Nach einem ausgiebigen Frühstück fahre ich kurz vor 9 erst mal die kurze Strecke zurück bis Bet Sh’ean, um meine aufgebrauchten Wasserreserven wieder aufzufüllen. Zum Glück finde ich gleich bei der Einfahrt in die Stadt einen Kiosk, in dem ich mich gut versorgen kann. Danach gleich wieder zurück, weiter in den Süden. Heute scheint es ein wenig angenehmer zu werden, denn es sind „nur“ 79 Kilometer bis Jericho. 

bei Beit Shean, Unterkunft zwischen den Olivenhainen
bei Beit Shean, Unterkunft zwischen den Olivenhainen
auf den Bus wartende junge Soldaten
auf den Bus wartende junge Soldaten
nur noch 79 km bis Jerusalem
nur noch 79 km bis Jerusalem
Landwirtschaft
Landwirtschaft

„Grenzübergang“ ins Westjordanland 

Am Habika’a Checkpoint, dem Übergang zur Westbank, komme ich problemlos durch. Ich muss nicht mal anhalten – denn es ist weit und breit niemand, dem ich meinen Pass zeigen könnte. Vom Rest des Weges gibt es nicht viel zu erzählen: Vorbei an (umzäunten) jüdischen Siedlungen, (offenen) arabischen Dörfern, dem grünen Jordantal, einer trockenen Landschaft abseits des Jordans und einer nicht zugänglichen Krokodilfarm mache ich Halt an allen Tankstellen oder Läden, um etwas zu trinken und mich von der Hitze zu erholen. Was hier auffällt, ist, dass an den israelischen Tankstellen fast nur SoldatInnen sind. Als Reisender zwischen den Welten kann ich sagen: Wer Zeitschriften, alkoholische Getränke oder Zigaretten will, komme hierher, wer sich eher für eine große Obstauswahl begeistern kann, sollte besser an einem palästinensisischen Laden anhalten. 

  

Verfahren kann man sich auf dieser Strecke kaum. Nicht so wie die japanischen Touristen, die Mitte Juni versehentlich eine Busreise nach Ofra (Westbank) anstatt nach Afula (Nordisrael) unternommen haben, da sie das „l“ wie ein „r“ aussprechen (vgl. www.sueddeutsche.de/reise/artikel/197/114083). 

  

Auf der Fahrt stelle ich mir die Frage: Wieso eigentlich die ganzen Warnungen vor Palästina, vor dem Westjordanland? Wieso machen sich viele Leute die Mühe, ins „Heilige Land” zu kommen, sind aber durch Medienberichte so verängstigt und manipuliert, dass sie sich nicht mal trauen, in die Geburtskirche in Bethlehem zu gehen? Zufriedenstellende Antworten auf solche Fragen habe ich auch nach der Tour nicht parat. 

 

Habik'a Checkpoint
Habik'a Checkpoint
Ankunft in Palästina
Ankunft in Palästina
israelische Soldaten
israelische Soldaten
militärische Hinterlassenschaf
militärische Hinterlassenschaf
Bushaltestelle
Bushaltestelle
auf der Landstraße 90
auf der Landstraße 90
Eingang zu einem arabischen Dorf
Eingang zu einem arabischen Dorf
links geht es Richtung Nablus
links geht es Richtung Nablus
Eingang zu einer jüdischen Siedlung
Eingang zu einer jüdischen Siedlung
Wadi
Wadi
   

 

Ankunft in Jericho 

Gegen 16 Uhr kann ich Jericho (arabisch Ariha) vor mir erkennen. Die Stadt liegt direkt vor mir, die Hauptstraße biegt bergab nach links ab. Ich entscheide mich aber für die Straße, die nach rechts abbiegt. Wieso? Aus Interesse, denn der Weg ist nach ein paar Metern mit Geröll zugeschüttet und versperrt. Eine Art Israels, die Palästinenser besser kontrollieren zu können, die mir noch öfter begegnen wird. Mit dem Fahrrad komme ich gerade so durch den Schutthaufen. In der Stadt angekommen, erkundige ich mich erst Mal bei der „Cable Car“ (s. www.jericho-cablecar.com) nach den Öffnungszeiten für die Fahrt auf den Berg der Versuchung; ich nehme mir ausreichend Zeit, essen zu gehen, mir das Zentrum anzuschauen und ein Internetcafé zu suchen. 

Als ich mich bei Dämmerung in eine Wechselstube begebe, um die Jordanischen Dinar gegen Israelische Schekel einzutauschen, entwickelt sich ein interessantes und nettes Gespräch über das Reisen und die Politik. Die Hotelempfehlungen nehme ich zwar entgegen, erkundige mich aber später lieber bei nahe an Kirchen (die Stadt hat 12 Kirchen: 5 griechisch-orthodoxe, 2 koptisch-orthodoxe, 1 äthiopisch-orthodoxe, 1 romanisch-orthodoxe, 1 russisch-orthodoxe und noch 2 andere) gelegenen Kiosken, ob und wo es denn eine Übernachtungsmöglichkeit gibt. 

  

erster Blick auf Jericho
erster Blick auf Jericho
mein versperrter Weg nach Jericho
mein versperrter Weg nach Jericho
Jericho (Ariha)
Jericho (Ariha)
Jericho, Palmenstadt
Jericho, Palmenstadt

 

Treffen mit einer jungen, motivierten Fußballnationalspielerin Palästinas  

Dabei lande ich in einem kleinen Geschäft, in dem ein junges Mädchen, Ayah, vorbeikommt. Der Geschäftsführer sagt mir, dass sie gerade in Deutschland war. Besser noch: Sie war mit einer Fußballmannschaft dort. Welch Zufall! Gerade gestern hat mir mein Vater eine aktuelle Nachricht aus der Zeitung zugeschickt (vgl. Badische Zeitung, 18. Juni 2007, „Gegen alle Widerstände“). Darin ist die Rede von einer 2004 gegründeten palästinensischen Frauennationalmannschaft, die nach dem Besuch des Evangelischen Kirchentages in Köln (s. www.kirchentag2007.de/serendipity/index.php?/archives/7-Kicken-gegen-die-Tradition.html, www.ksta.de/html/artikel/1179819740965.shtml) auch Freiburg besucht hat, um dort zu trainieren (s. www.one-goal.de). Deutschland ist in dieser Hinsicht ein Traumland für sie: In der Westbank gibt es nur einen Rasenplatz und im Gazastreifen wurde der Rasen zerbombt, weshalb inzwischen wieder auf Asphalt gespielt wird. Sie kicken gegen die Tradition und für ihre Heimat Palästina: „Wir wollen der Welt zeigen, dass es in unserem Land nicht nur Terroristen gibt“. Zwei der Spielerinnen sind allerdings verfrüht abgeflogen – von einer wurde der Onkel im Bürgerkrieg im Gazastreifen verletzt, der anderen wurde ihr Haus bei einem Anschlag zerstört. 

Da die Mädchen und Frauen aus verschiedenen Teilen des Landes kommen und es eine ganze Menge israelischer Checkpoints gibt, ist es nicht einfach, die Truppe für ein Training zusammen zu bekommen. Für die Mädchen aus dem Gazastreifen ist es ohnehin nicht möglich, in die Westbank zu kommen und umgekehrt. So kommen sie nur im Ausland alle zusammen, z.B. bei der arabischen Meisterschaft in Ägypten. 

Die Fußballerinnen, jeweils etwa zur Hälfte Christinnen und Muslima, stören eindeutig das Bild, das man vom Nahen Osten hat. Frauen und Fußball (s. www.theglobalgame.com)? Auch noch gemischt religiös? Ja, das geht. Inzwischen hat das Team auch andere angesteckt, es gibt einige Frauenmannschaften (natürlich kicken auch die Jungs: s. „Warkids – Jung sein in Palästina“, www.lernzeit.de/sendung.phtml?detail=739668). Und eine von diesen Damen bzw. Mädchen (alle zwischen 12 und 23 Jahre alt), Ayah, ist für mich im Nachhinein eine der eindrucksvollsten Begegnungen der ganzen Tour: Sie ist jung, motiviert, offen und wirkt sehr überzeugt von dem, was sie macht.  

 

Jericho, Seilbahn (Teleferiq Ariha)
Jericho, Seilbahn (Teleferiq Ariha)
Jericho, Vielfalt an Biersorten
Jericho, Vielfalt an Biersorten
Jericho, griechisch-orthodoxe Kirche
Jericho, griechisch-orthodoxe Kirche
Jericho, mit Ayah (Palästinens. Fussballnationalmannschaft der Frauen)
Jericho, mit Ayah (Palästinens. Fussballnationalmannschaft der Frauen)
Jericho, Unterkunft vor dem Hauseingang
Jericho, Unterkunft vor dem Hauseingang
     


Bier „Taybeh 

Immer noch ohne Unterkunft, ziehe es jetzt vor, mich zum nächsten Bierladen zu begeben und dort zu unterhalten. Was mich hier besonders anzieht, ist ein bestimmtes Bier – das Taybeh-Bier (nicht zu verwechseln mit der Hauptstadt der Republik China mit seinem riesigen Wolkenkratzer Taipei 101, (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Taipeh). In einem Vortrag einer Palästinenserin habe ich mitbekommen, dass in Palästina nur ein Bier produziert werde, das „Taybeh“ (s. www.taybehbeer.com) eben.  

Nach 18 Jahren Studium und Aufenthalt in den USA kehrte Nadim Khouri wieder nch Hause und gründete die Brauerei „Taybeh“ im gleichnamigen Ort in der Nähe von Ramallah, in dem ausschließlich Christen leben. Zugleich ist Taybeh das einzige Bier im Nahen Osten, das nach dem Deutschen Reinheitsgebot gebraut wird. Der Hopfen kommt deshalb aus Bayern, um dem Reinheitsgebot auch zu entsprechen (möglicherweise bin ich am Anfang meiner Tour an den entsprechenden Hopfenfeldern vorbeigefahren, womit sich der Kreis schließen würde, s. www.reise-nach-jerusalem-2007.de/tagebuch5.html). 

Es gibt einige Geschichten zur Brauerei, die überhaupt nicht ins Bild des Nahen Ostens und Palästina passen: So z.B. das Ausrichten des Oktoberfestes in Taybeh. Zu den Zöllen und Transporten hört man auch einige Geschichten, aus denen man ein eigenes Buch der Kuriositäten verfassen könnte, wie die vom Taybeh-Bier mit tschechischer Aufschrift: "Die gehen an israelische Bars. Deren Kunden sollen nicht merken, dass deren Hausmarke in Wirklichkeit palästinensisch ist" (vgl. www.hagalil.com/archiv/2005/10/taybeh.htm). Tatsächlich bekomme ich das Bier später in Israel nur, wenn es sich um eine christliche Gegend handelt oder wenn die Verkäufer unter die Theke greifen. 

Taybeh-Bier ist also schon etwas Spezielles, nicht nur wegen dem Geschmack. Allerdings habe ich mich, wie immer, auf das Pils, auf „Golden“ beschränkt – „Light“ und „Dark“ habe ich nicht angerührt. Für mich zählt es zu den besten Bieren, die ich unterwegs probiert habe (wie versprochen, es folgt noch eine spezielle Seite mit den Biersorten meiner Fahrt). 

  

Mit Anton und Elias unterhalte ich mich natürlich nicht nur über Bier, sondern auch über meine Reise, das Zusammenleben in Jericho, Checkpoints,… Schließlich bekomme ich Kontakt zu Bschara, bei dessen Familie ich schlafen kann. Wir gehen gegen 23 Uhr zu ihm und ich mache es mir auf dem Vorplatz des Hauses gemütlich. Wir sitzen noch zusammen mit seiner (christlichen) Familie Neschasch, der Mutter Lora und dem ältesten Sohn Nicola und es kommen noch einige (muslimische) Nachbarn vorbei. Die Nachbarn sind relativ neu hier. Erst mit der Zeit hat man sich miteinander bekannt gemacht, versteht sich aber inzwischen sehr gut miteinander. Nicola werde ich leider nicht mehr sehen, da er für eine israelische Firma arbeitet und in den frühesten Morgenstunden aufbrechen muss. Und hier ist jeder froh, wenn er einen Arbeitsplatz hat. Und wenn es „nur“ ein Billigarbeitsplatz bei den Israelis ist. 

 

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 20 Feb 2016 11:55:02

Tag 85 - Palästinensisches Bier und eine Fußballnationalspielerin Menu