Tag 82 - Bei höllischer Hitze mit Rückenwind nach Jordanien
DO, 21.06.2007 : Bei höllischer Hitze mit Rückenwind nach Jordanien
Damaskus – nördlich von Irbid (Jordanien)
Ich wache neben vielen neuen Nachbarn auf dem Dach auf. So treffe ich eine junge Französin mit einem italienischen Vornamen, die akzentfrei deutsch spricht. Anscheinend ein Sprachenwunder, denn sie hat es erst spät gelernt. Außerdem lehrt sie seit zwei Jahren französisch an der Uni Budapest. Sie sucht aber gerade etwas Neues in einem neuen Land mit einer neuen Sprache. Sie ist mit einem befreundeten jungen Pärchen (ebenfalls Franzosen) hier, das sich nach zwei Jahren in Beirut nun von dort verabschiedet hat. Schade, dass ich so interessante Leute erst eine halbe Stunde vor der Abfahrt treffe.
Den Abstecher nach Al Quneitra (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Quneitra) lasse ich aus. Ich war dort schon vor vier Jahren und will endlich wieder vorwärts kommen. Die Stadt Esraa mit ihren sehr alten Zeugnissen der Christenheit, der St. Georgs Kirche (5. Jh.) und der St. Elias Kirche (6. Jh.) spare ich mir für später auf, vielleicht das nächste Mal, wenn ich, wie ich es mir schon lange wünsche, mit der Hedschas-Bahn von Damaskus nach Amman diese Stadt durchfahre (sehr schöne Bilder unter www.farrail.net/seiten/touren/syrien-jordanien-2007.html, http://nabataea.net/hejaz.html).
Zur Hedschas-Bahn: Geplant und gebaut wurde sie ab 1900, um den Pilgerweg nach Mekka zu vereinfachen und natürlich für den Truppentransport. Da ich, wie schon erwähnt, die Bahn wegen momentanen Umbaumaßnahmen gar nicht nutzen kann, lasse ich mir diese Option gerne für die Zukunft offen. Die Pilgerbahn mit ihren Dampf- und Dieselloks wird zur Zeit erneuert, nachdem man verstaubte Pläne wieder aus der Schublade gekramt hat. Lobenswert. Die Bahnhöfe an der Strecke kommen einem wahrscheinlich vor wie die zu Hause. Kein Wunder – die Hedschas-Bahn wurde mit deutscher Hilfe gebaut, entsprechend ist auch die Architektur. Ein Traum also für Freunde der Eisenbahnromantik. (s. www.fremde-kulturen.de/hedjazbahn/hedjazbahn.htm). Genauere Auskunft über die jordanischen Zugangebote gibt es unter www.jhr.gov.jo.
unterwegs, Zeltlager |
unterwegs, Arab European University |
unterwegs, Baumschule |
unterwegs, Durstlöscher Almaza |
nördlich von Daraa |
Grenzübergang Syrien - Jordanien |
An der Grenze zu Jordanien halte ich mich eine Stunde auf. Vor allem deswegen, weil ich ein paar Mal an die falschen Schalter geschickt werde und dann immer wieder größere Warteschlangen vor mir habe. Die lange Wartezeit hat also keine grundsätzlichen, sondern eher organisatorische Ursachen.
Aus Erfahrung tausche ich die Syrischen Pfund gleich an der Grenze gegen Jordanische Dinar, denn in Deutschland nimmt keine Bank Syrische Pfund an. Man wird das Geld nur wieder los, wenn man jemanden kennt, der vorhat, nach Syrien zu reisen. Und selbst dann ist es ein Risiko (für den Reisenden), denn man darf kein syrisches Geld nach Syrien einführen, wenn ich es recht in Erinnerung habe. Einen kleinen Betrag der eingewechselten Dinar benötige ich auch gleich für die Bezahlung des Visums.
Nach dem Grenzüberschritt entscheide ich mich endgültig, auch hier einige meiner Reiseziele fallen zu lassen: Anstatt über Jerash in die Hauptstadt Amman (außer dem wunderschönen Kolosseum und einigen Museen gibt es dort nicht viel zu sehen) zu fahren und dort über den Königsweg (s. www.atlastours.net/jordan/kings_highway.html) in die atemberaubende Felsenstadt Petra (war ich auch schon) und Wadi Rum, wähle ich die kürzest mögliche Strecke über Jordanien: über Irbid Richtung Jordantal. Somit fahre ich nicht mehr – wie fast überall in Syrien – Richtung Süden, sondern nach Westen dem Meer entgegen und der Wind schlägt mir kräftigst ins Gesicht.
Um kurz nach 20 Uhr, nach einer Stunde anstrengender Fahrt, hält neben mir ein Transporter und drängt mir die Mitnahme beinahe auf. Dabei habe ich auch gar kein schlechtes Gewissen als Radreisender, da ich ja nur in die nächste Stadt, Irbid, will. Das irakische Flüchtlingslager habe ich wegen dem heftigen Wind und der zunehmenden Kälte inzwischen für heute aufgegeben. Mit den drei Herren im Transporter ist die sprachliche Verständigung allerdings sehr schwer. Allgemeine Erheiterung herrscht, als ich, auf der Suche nach einem Blatt Papier, den auf dem Armaturenbrett liegenden Koran anfasse. Anscheinend haben alle – wie ich später herausbekomme – geglaubt, ich wolle jetzt in dem Heiligen Buch herumkritzeln. Dass das zur Erheiterung geführt hat, ist sehr erfreulich, denn es ist verboten, den Koran zu beschriften und somit zu entweihen. In anderen Ländern gibt es für so ein – missverstandenes – Verhalten sehr harte Strafen.
Die Herren fahren mich aber nicht, wie von mir erwartet, nach Westen, sondern wieder in den Norden. Da ich aber insgeheim auf eine gute Übernachtungsmöglichkeit hoffe und zu müde bin, um zu diskutieren, fahre ich einfach mit, das Rad auf der Ablage. Zwischendurch halten wir in einer Stadt an, wo sie für mich einen jungen Mann auftreiben, der in Deutschland aufgewachsen ist. Eine große Hilfe ist der aber nicht.
Gegen 21 Uhr kommen wir noch weiter nördlich in einem Dorf an, und ich werde schnell an eine Familie „vermittelt“, in der viele Deutsch sprechen. Doch auch dort gibt es Verständigungsprobleme. Zum ausgiebigen Abendessen kommen noch einige Freunde und Verwandte. In Syrien habe ich zwar keinen Hehl aus meinem Reiseziel gemacht, hier fällt es aber trotzdem leichter, darüber zu sprechen. Von dem irakischen Flüchtlingslager, das im Nordwesten Jordaniens (nach Infos aus dem Damaszener Hotel angeblich nahe des Grenzflusses Yarmuk) liegen soll und welches ich morgen gerne besuchen würde, wissen sie nichts.
Das beste Obst und Gemüse gibt es angeblich in Syrien. Wieso? Dort gibt es ein absolutes Verbot von Pflanzenschutzmitteln. Bis ich dann endlich ins Bett kann, gibt es noch viele Fragen, Nachtische und Kaffee und es ist schon 1 Uhr in der Nacht.
was mich weiter im Süden erwarten würde |
mein Weg führt aber in den Westen |
Et Turra, mein Fahrer (hinten) und dessen Kollegen |
Et Turra, in der Unterkunft |
Zu Jordanien:
König Abdullah II. hat großes Ansehen durch seine Vermittlungstätigkeit im Nahen Osten. Er lädt wiederholt und hartnäckig Vertreter verschiedener Positionen zu Gesprächen ein. Gehör findet er neben den arabischen Staaten auch in Israel und in den USA. Seinen guten Kontakt mit dem Westen hat er auch filmisch als Statist der „Star Trek“ - Serie unter Beweis gestellt. Abdallah investiert in Bildung und Innovation, verurteilt Israels Mauerbau und Besatzung genauso wie so manches palästinensisches Verhalten. Verheiratet ist er mit Rania, einer Vorzeigekönigin: sie engagiert sich gesellschaftlich und sozial, erhielt 2002 den Deutschen Medienpreis für ihren Einsatz (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rania_von_Jordanien).
Positiv anzumerken ist, dass die palästinensischen Flüchtlinge und deren Nachfahren - die über 50% der jordanischen Bevölkerung ausmachen (s. www.nahostfocus.de/page.php?id=1124) – fast den gleichen Status haben wie die Jordanier. Also ein meilenweiter Unterschied zum Libanon z.B., wo die Flüchtlinge als „staatenlos“ gelten und heute oft noch in Lagern leben.
Zu kritisieren ist in diesem Land allerdings die mangelnde Presse- und Redefreiheit.