Tag 50 – Kampf mit dem Wind und eine tückische Bohnensuppe
SO, 20.Mai 2007 – Kampf mit dem Wind und eine tückische Bohnensuppe
(kurz vor) Niğde – Çiftehan – (südlich von) Pozantı
Ich habe mir den heutigen Tag sehr lässig vorgestellt: Nachdem ich in der Türkei viele Berge überwunden habe und jetzt auf der Höhe von etwa tausend Metern bin, kann es nur einfach und gemütlich werden. Eine Belohnung für die bisherigen Qualen sozusagen. Dass da noch zwei Pässe drin sind, hätte mir ein genauerer Blick auf die Karte deutlich gemacht. Die waren aber nicht mal das Problem. Doch von Anfang an:
Der Tag beginnt eigentlich glänzend: Bis Niğde habe ich 45 Minuten lang einen Schnitt von etwa 30 km/h. Die Sonne scheint und es ist sehr angenehm zu fahren. Danach komme ich aber für 3-4 Stunden seltenst auf ein zweistellige Tempo - und das trotz der ebenen Strecke.
Ich fluche den ganzen Tag: über die hohen Berge des Taurus, die sich noch in großer Zahl gewaltig vor mir auftürmen, über die LKW-Fahrer, die mich durch ihr zentimeternahes Vorbeirasen in ihren Sog ziehen, über die Autofahrer auf der Gegenspur, die sich genau auf meiner Höhe überholen müssen und vor allem über den Wind:
Der Wind ist heute Kräfte zehrend und Furcht einflößend: Der Gegenwind raubt einem die letzte Kraft, der Seitenwind schiebt einen ins Kiesbett und reißt einen vom Rad. Tatsächlich haut es mich ein Mal um. Dabei ramme ich mein Schienbein ins Kettenrad. Dass es ziemlich blutet, ist nicht so schlimm. Nur: wie soll ich bei dem heftigen Wind desinfizieren und die Wunde mit einem Pflaster überkleben, ohne dass mir alles davonfliegt? Ich schaffe es doch mit viel Geduld und kann mich dazu bewegen, trotz allem weiterzufahren. Aber eine Besserung gibt es auf der ganzen Strecke nicht. Es wechselt sich nur die eine Gefahr durch die andere ab. Das Essen findet gezwungener maßen auch auf dem Rad statt – was der Wind nämlich ein Mal erwischt hat, das ist fort.
Den ersten der beiden Pässe erreiche ich sogar einigermaßen locker, da bergauf wenig Wind herrscht. Kaum sehe ich aber die letzte Erhöhung vor mir, die Passhöhe, schlägt mir schon wieder Wind entgegen. Das ist so ziemlich das Frustrıerendste, was einem passieren kann, wenn man bergauf fährt: Oben angekommen wird es erst richtig schlimm. Ich bin jetzt auf 1290 Metern, habe eine kurze gerade Strecke vor mir, dahinter sind aber schon weitere Berge zu erkennen und weiter hinten sieht aus wie die schneebedeckten Alpen. Zum Verzweifeln also.
Wind I |
Wind 2 |
Pass 1 |
Pass 2 |
Aussicht |
Unterwegs mache ich erschöpft Halt an einer Raststätte; unter den vielen am Wegl habe ich genau die richtige getroffen: Bei der Einfahrt entdecke ich zwei Tourenräder - die sind von Christine und Stefan. Gemeinsam fahren sie um die Welt, haben dafür auch sehr viel Zeit mitgebracht (einige Jahre). Auch sie haben ein gutes Projekt, für das sie fahren: für die Deutsche Kinderkrebsstiftung (www.radfahren-gegen-krebs.de). Der Zufall will es, dass wir alle drei hungrig sind und so geht es ans Kochen. Echt klasse, unterwegs andere Radfahrer wie sie zu treffen. Das lockert doch sehr auf, besonders bei solchem Wetter wie heute. Dabei hatten sie bei der Fahrt bergauf Glück: nur Rückenwind, eine echt lässige Fahrt.
Weiter geht die Fahrt im Kampf gegen die LKWs und den Weg abwärts.
Christine und Stefan |
Mitagessen |
Wind 3 |
Bergab |
Ca. 20 Uhr: Die Stadt Pozantı bietet nichts, was mich reizt, hier zu übernachten, also fahre ich weiter. Ab hier gibt es eine Straße, die parallel zur E 90 verläuft; diese Strecke ist zwar sehr bergig und dunkel, dafür gibt es hier so gut wie keine Autos, wie ich sie den ganzen Tag ertragen musste. Und das ist ein großer Vorteil für die Nerven, man kann sich die ganze Flucherei ersparen.
Um 22:20 komme ich, völlig abseits von allen Dörfern und Städten, an einer Auffahrt, die zu einem Tor führt, vorbei. Da das Tor offen steht, wage ich einzutreten. Die ersten Blicke in das Gelände lassen mich vermuten, es handele sich hier um einen Gutshof oder Ähnliches. Die zwei bellenden Hunde scheinen dies zu bestätigen. Als nach gut drei Minuten Gebelle noch immer kein Mensch auftaucht, nehme ich an, dass ich doch noch etwas Anderes suchen muss. Doch in letzter Sekunde taucht jemand auf, bewegt sich auf mich zu und scheucht die Hunde zurück. Freundlich nimmt mich der Mann, Mustafa, an der Hand und führt mich in sein Haus. Hier sind auch seine Frau Emine und die Kinder Serhad und Gizem im Wohnzimmer. Ein Gutshof ist es bei weitem nicht, “nur” eine 3-Zimmer-Wohnung mit Bad. Ich vergesse, mich nach der Funktion des abgesicherten Geländes zu erkundigen. Aber es scheint eine Siedlung für leicht Besserverdienende zu sein – dies wird sich in den nächsten Dörfern zeigen, die ich morgen passieren werde.
Auf jeden Fall bekomme ich gleich Bohnensuppe aufgetischt, obwohl ich sie vorher dankend abgelehnt habe. Aber ich fühle mich wohl hier bei der jungen Familie. Gerne zeige ich ihnen auf der Karte meine bisherige Route durch die Türkei und die nächsten Pläne. Sprachlich ist es nicht ganz einfach, aber ein bisschen Zuhilfenahme des Wörterbuches und Gestik reichen aus.
Die Nacht verbringe ich auf der einen, Mustafa auf der anderen Couch im Wohnzimmer. Die Nacht bricht für mich um 12 an und ich schlafe auch gleich ein. Allerdings werde ich heute Nacht zwei Mal, um 0:30 und um 1:30, meinem Schlafgemach entsteigen, um auf die Toilette zu gehen. Denn die Blähungen aufgrund des Bohnenkonsums haben nicht lange auf sich warten lassen. Und da ich mir nicht 100% sicher bin, ob es - nach bisherigen Erfahrungen mit dem Konsum hiesiger Gemüse - vielleicht nicht doch gleich wieder raus will, gehe ich lieber auf die Toilette. Da habe ich mir zwar zu viele Sorgen gemacht, wollte aber lieber auf Nummer Sicher gehen. Eigentlich gehört so etwas nicht unbedingt in einen Reisebericht, entspricht aber der Erfahrung der meisten Touristen hier. Also: vorher zu Hause die Reiseapotheke gut ausstatten!!
Zum Sport und daheim: Wie ich morgen erfahren werde, hat der SC Freiburg den Wiederaufstieg in die 1.Liga aufgrund des schlechteren Torverhältnisses verpasst. Zum 2. Mal auf dem 4. Platz. Frustrierend!