Tag 44 – Nächtliche Flucht aus dem Hamam
MO, 14.Mai 2007 – Nächtliche Flucht aus dem Hamam
Polatlı, Haymana
Die Nacht unter freiem Himmel hat mir wirklich gut getan. Dazu noch ein Wort: Seit Beginn der Tour war das Wetter genial. Gut, es war öfter windig. Aber nur ganz selten hat es geregnet; und wenn, dann hat es erfrischend getröpfelt oder ist an einem der Ruhetage oder nachts runtergekommen. Also: Danke Ozonloch, danke Klimawandel!
Morgens gönne ich mir - aufgrund der ersten Darmprobleme - zwei Suppen und Tee. Das Ganze kostet mich dann - inklusive der gestrigen "Nahrung" 10 Lira. Scheint für deutsche Verhältnisse preiswert zu sein, ich sehe darin aber einen klar überhöhten Preis aufgrund meiner Herkunft. Aber ich habe keine Lust, zu meckern. Schließlich durfte ich ja auch hier schlafen. Was mich aber gestört hat, war der Chefkoch und das ganze Türkeigehabe. "Turquie bien? Monsieur Mustafa tres gentil? Monsieur Mohamad tres gentil?" Diese Fragen nach dem Wohlbefinden in der Türkei und der Freundlichkeit der anwesenden Herren ging mir ziemlich auf den Nerv. Denn letztendlich wurde gar keine Antwort erwartet; die wurde nämlich schon durch die Art der Frage gegeben.
So, los geht die Fahrt. Wenn man meinen Standort auf der Landkarte betrachtet, könnte man annehmen, mein Weg führe nach Ankara oder nach Konya. Dem ist aber nicht so. Ankara interessiert mich überhaupt nicht und ich habe bisher auch keinen Türken gehört, der es mir ans Herz gelegt hätte. Auch nach Konya, der Stadt der Sufis und Derwische, geht es nicht. Die Stadt ist zwar wunderschön, ich war aber vor 3 Jahren schon mal hier. Es geht Richtung Kappadokien:
Übernachten an der Tankstelle |
Weg I |
Weg II |
Heute meint es das Wetter nicht besonders gut mit mir: Zwar scheint die Sonne, ich habe auf der kurvenreichen und bergigen Strecke aber fast durchgehend Gegenwind. Es stimmt also, was mir in einem Fahrradladen in Istanbul gesagt wurde: Die großen Strassen sind eben, der Rest der Türkei ist aber reich an Kurven und Höhenunterschieden. Ich starte gegen 10:30, komme aber erst um 17:00 in Haymana an. Gut, ich habe kurze Erholungspausen eingelegt, aber eigentlich auch keine rechte Lust mehr gehabt. Die knapp 50 Kılometer sind genug fürs Erste.
So bleibe ich etwa vier Stunden in einem Internetcafe in Haymana, um bei ein paar Cappuccino Berichte für die Internetseite zu schreiben. Einer der beiden Besitzer des Cafes, Çem, bringt mich zum Hamam (türkisches Bad), in dem ich anscheinend schlafen kann. Dort angekommen, regelt er die Angelegenheit mit den Bediensteten - scheinbar. Jedenfalls muss ich gleich 4,50 zahlen. Das ist anscheinend der Eintrittspreis, Schlafstätte inklusive. Das ist ja auch noch in Ordnung: Aber der Rest ist nicht so ganz gemütlich, wie ich mir einen angenehmen Aufenthalt vorstelle.
Ich werde gleich an der Hand genommen und mehr oder weniger in den Hamam reingezerrt. Ich kann mich aber wieder "losreißen" und zurück, um das Nötigste für den Aufenthalt im Bad zu holen. Leider ist diese Behandlung meiner bisherigen Erfahrung nach doch einigermaßen typisch für die Türkei: Man will freundlich sein (Gastfreundschaft) und drängt einem sofort alles auf. Man könnte ja was verpassen. Der Hamam könnte möglicherweise ja auslaufen... Ich fühle mich behandelt wie ein kleines Kind, das keine Ahnung von nichts hat. Da ich das aber einigermaßen von den Restaurants gewöhnt bin, ist es nicht ganz so schlimm. Was hier aber völlig fehlt, ist das Einfühlungsvermögen. Liegt vielleicht daran, dass die hier Angestellten noch nie über die Stadtgrenzen hinausgekommen sind und es hier kaum Touris gibt.
Also: ich gehe ins Wasser, nicht aber ins große Becken; das ist eindeutig zu heiß. Nach einer knappen halben Stunde denke ich, ich habe jetzt genug Zeit abgesessen und gehe wieder raus. Anstatt hier nur herumzusitzen, wechsle ich - trotz der noch etwa 20 Minuten dauernden „Schwitzphase“ nach einem Hamambesuch - wieder zu Çem ins Internetcafe.
Der dortige Aufenthalt gestaltet sich anders als ich es mir vorgestellt habe. Anfangs ist es noch sehr angenehm bei einem Kaffee, während er mit seiner Frau chattet. Er selbst ist 23, hat noch ein anderes Geschäft, dessen Branche er aus sprachlichen Gründen nicht erklären kann, hat einen kleinen Sohn (1 Jahr) und kommt eigentlich aus Ankara. Er arbeitet und lebt jetzt hier, da seine Vorfahren von hier stammen. Zur Heirat meint er, die Türken würden da viel zu früh drangehen - die Mädchen mit 15, die Jungs mit Anfang 20.
Er fragt mich, ob ich Jude sei. Dafür hätten sich nämlich die Bediensteten im Hamam interessiert. Es passiert mir nicht zum ersten Mal auf der Reise, dass Leute mich für einen Juden halten, da ich 1.) nach Jerusalem reise und 2.) Koteletten habe. Für mich ist die Schlussfolgerung etwa wie folgt: Wer 1.) einen Kugelschreiber dabei und 2.) geschnittene Fingernägel hat, muss folglich ein Schweizer sein! Das ist zwar nicht auszuschließen, liegt aber nicht unbedingt nahe. Anscheinend wissen diese Leute nicht, dass Jerusalem für Christen die heiligste Stadt ist und dass alle möglichen Menschen Koteletten tragen und dies kein Kennzeichen für Juden ist. So waren Elvis Presley und besonders Richard Wagner alles andere als Juden. So viel zur Frisur.
Es geht aber noch weiter: Çem hält die Juden für die größte Weltgefahr -also auch für die Türkei; siehätten schon seit einiger Zeit im kurdischen Teil der Türkei Gebiete aufgekauft. So würden sie ihr Großisrael schaffen. Die Kurden findet er übrigens noch schlimmer als die Juden.
Es nützt alles nichts: all meine Bemühungen und Präsentatıonen per Internet über jüdische Friedensbewegungen und Personen (www.schalom5767.de, www.uri-avnery.de) oder Einrichtungen (www.khb.ch), die sich herzlich wenig um die Religion kümmern, wenn es um die Gleichbehandlung der Menschen geht, fruchten nichts. Ich bekomme recht deutlich gesagt, dass ich falsch liegen würde.
Fragen zum Christentum erspare ich mir gleich. Aber ich will ihm doch klar machen, dass ein Christ wie ich oder auch sonst ein "Durchschnittschrist" in Europa herzlich wenig zu tun hat mit einem George Bush. Da kann der noch so viel von Liebe und Gott erzählen - ein Kriegstreiber bleibt er. Wäre er beim Alkohol geblieben, hätte er der Welt einiges erspart.
Çems Zukunftspläne: Noch 7 Söhne - was er für machbar hält in den nächsten sieben Jahren - und dann auf nach Tschetschenien, um die dortige Bevölkerung zu unterstützen im bewaffneten Kampf gegen Russland.
Also, zurück zum Hamam. Es ist nach dem langen Gespräch schon 2:30 Uhr nachts geworden. Also Zeit, schlafen zu gehen. Wieder werde ich blöd hin- und hergezogen. Ich finde aber einen Schlafplatz im Umkleideraum und kann trotz dem immer noch bestehenden Betrieb und dem Licht recht schnell einschlafen. Aber nicht lange! Um 4 werde ich geweckt, da hier geputzt werden muss. Ich nehme also mein ganzes Gepäck raus und frage im Eingangsraum, wo ich denn jetzt schlafen könne. Antwort: Im Hotel! Nie im Leben! Auf gar keinen Fall werde ich um diese Zeit noch in ein Hotel umsiedeln. Ich verpisse mich lieber aus dieser Stadt.
Also packe ich alles zusammen. Aber so einfach ist das nicht. Einer der Beschäftigten - eine Person mit einer absolut unangenehmen Ausstrahlung - quatscht mich die ganze Zeit an. Habe ich mal eine Antwort gegeben, kommt 5 Sekunden später wieder ein "Andreas,...?". Dazu erwartet er, dass ich die ganze Zeit Augenkontakt halte. Ich mache ihn klar, dass ich gerade am Packen bin und nicht alles auf einmal machen kann. Er scheint ein bisschen zu verstehen. Angepisst von diesem Laden gehe ich raus und mache mich schnell vom Acker.
Nach 5 Minuten merke ich aber, dass ich mein Ladegerät vergessen habe. Also zurück in die Höhle des Löwen. Der Vollıdiot von vorher scheint zu verstehen, was ich will. Gleichzeitig will er mich aber trotzdem an das Hotel seines Kollegen vermitteln. Keine Chance!
Wieder raus so schnell es geht. An der Stadtgrenze angekommen, muss ich erst einen Blick auf die Karte werfen. Wohin geht es? Kaum habe ich mich entschieden, wird sowieso alles über den Haufen geworfen: zwei Hunde rasen auf mich zu. Auf diese Begegnung habe ich nachts um kurz nach 4 bei völliger Dunkelheit absolut keine Lust. Also nehme ich die Straße, auf der ich am schnellsten vorwärts komme: bergab. Ich lande so in einem Block voller Hochhäuser, zwischen denen ein heftiger, kalter Wind weht. Hier muss ich in einer windgeschützten Ecke aushalten, bis die Sonne aufgeht. Hauptsache weg vom Hamam und den Hunden. Ich ziehe mir alle möglichen Klamotten an, zum ersten Mal auf der Reise zwei Hosen übereinander. Da es sonst nichts zu tun gibt, mache ich mich über meine letzten Vorräte her: eine Banane und viel Schokolade...
Haymana |
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