Tag 041 - Reizgas und unerwartet lange Fahrt

DO, 07.05.2015 – Reizgas und unerwartet lange Fahrt

Spaske (Tatarbunary) – Galați / Galatz

 

Reich sind die Leute hier nicht. Aber ein Handy hat doch fast jeder. Der Prediger Yuriy sagt, von seinem monatlichen Bruttolohn könne er gerade mal zwei Jeans und ein Hemd kaufen. Vor wenigen Jahren konnte er noch mit 20 Bienenvölkern durchkommen, jetzt braucht er dafür 60, er will sie aber bis auf 200 aufstocken. Er selbst ist ukrainisch, also ein Außenseiter in diesem Dorf, das vor 105 Jahren von Russen gegründet wurde. Die Nachbardörfer seien übrigens deutsche, rumänische oder ukrainische Gründungen. Die Leute sprechen hier noch eine bestimmte Form Russisch, die es heute in Russland selbst wohl nicht mehr gebe. Die sprachliche Kommunikation sei also etwas schwierig in der Gegend. Seine zwei Schwestern und sein Bruder sind nach Norwegen ausgewandert. Er wohnt hier mit seiner Frau und ist Vater von fünf Kindern, wobei die mittlere Tochter, Elizabeth, mit 5 Jahren an Blutkrebs gestorben ist.

 

Anstrengende Fahrt in den Westen

Yuriy sagt, dass der Wind aus dem Süden komme, und dies bringe Regen mit sich. Tatsächlich regnet es eine halbe Stunde nach meinem Start auf mich ein. Wenigstens hört dadurch der Seitenwind von zuvor auf. Nach einer halben Stunde bin ich sehr unmotiviert, habe einfach keine Lust mehr. Ich überlege, dass ich nur bis zur ersten Stadt Rumäniens, bis Galați fahren werde, mich dort hinlegen und schlafen werde. Der Ort ist aber viel weiter entfernt ist als ich anfangs denke. Nach erstem Schätzen komme ich doch auf unerwartete 120 Kilometer. Tatsächlich sind es ca. 180, wobei mein Tacho – dem ich nicht mehr ganz traue – nur 175 anzeigt. Ich komme zwar in der Donaustadt Ismajil vorbei. Von dort könnte theoretisch eine Fähre in die wenig entfernte rumänische Stadt Tulcea fahren. Tut sie aber nicht. Und die Anwohner wissen sowieso von nichts. Dass ich jetzt noch weiter zurück in den Westen fahren muss, habe ich aber geahnt. Außerdem hält mich noch die Polizei an und macht ein Foto von meinem Ausweis.

 

 

 

Satteleinstellung

Da ich bisher von vielen gehört habe, dass sie sich eine solche Fahrt nicht vorstellen können, weil ihnen schon nach wenigen Kilometern der Hintern weh tue, hier eine Erfahrung von mir: Bisher war dies nie ein ernsthaftes Problem für mich, höchstens bei sehr langen Strecken und beim Kampf gegen den Wind. Doch bei dieser Tour hatte auch ich Probleme. So habe ich überlegt, ob es vielleicht am Sattel oder am Älterwerden liegt. Beides ist falsch. Ich bin auf sehr simple Idee gekommen, den Sattel einfach ein paar Zentimeter niedriger zu stellen. Erst kam es mir ein wenig komisch vor, aber ich habe gemerkt, dass er jetzt nicht mehr auf die falschen Muskeln und Knochen drückt und ich viel besser fahren kann.

Der Weg nach Reni misst noch 51 km. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob die Wegangabe stimmt und fahre an der Kreuzung 50 Meter weiter, um eine Frau zu fragen, die versucht, per Anhalter weiterzukommen. Die Richtung stimmt. Nur steht hier, als ich mich umdrehe, die Wegstrecke von 61 km.

 

Fehlgriff bei der Suche nach der Taschenlampe 

Die Strecke ab Orliwka erfüllt meinen heutigen Traum: völlig eben, gut geteert, schöner Ausblick, schnelle Fahrt. Dadurch kann ich meine Durchschnittsgeschwindigkeit um einen Kilometer erhöhen. Kurz vor der Stadt Reni kommt aber plötzlich ein Wind auf, der immer stärker wird und mir die gute Laune wieder etwas nimmt. Durch die grenznahe Stadt bin ich schnell durch. Die letzten Meter sind aber kein Vergnügen: Da es dunkel wird, bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht eine Abzweigung verpasst habe. Denn die Stadt Galați habe ich durch ihre tiefere Lage schon von Weitem erkannt. Zudem teilt sich der Weg hier auf eine rechte und linke Seite. Wegweiser sind weit und breit nicht zu finden. So versuche ich, meine Taschenlampe aus der Vordertasche rauszunehmen. Deren Format erkenne ich ja auch bei Dunkelheit. Denke ich jedenfalls. Allerdings erwische ich nicht die Taschenlampe, als ich versuche, den vermeintlichen Anschalter zu drücken, sondern das Pfefferspray, das mir zur Sicherheit mitgegeben wurde. Natürlich treffe ich damit meine Augen bzw. Brille sogar etwas näher als die angegebene optimale Weite von 1-1,5 Meter. Sehr schnell lasse ich das Rad auf den Boden gleiten, setze meine Brille ab und versuche, das Gas mit Wasser so gut wie möglich aus meinen Augen auszuwischen. Entgegen der Beschreibung wirkt es zum Glück nicht auf meine Haut und meine Atemwege ein. So viel als praktische Erfahrung. Das liegt vielleicht aber auch daran, dass letztere durch den vielen Staub der heutigen Fahrt schon ziemlich bedeckt sind. Nach 5 Minuten kann ich mich wieder aufrappeln und in dem Moment den Autofahrer, der gerade vorbeikommt, nach dem richtigen Weg zur Grenze fragen. Am Tag darauf entschließe ich mich übrigens dazu, das Spray wegzuwerfen, es ist einfach zu gefährlich für mich.

Die Ausreise aus der Ukraine nach Moldawien ist unproblematisch. Zuvor habe ich mir nämlich etwas Sorgen gemacht, da durch den ukrainischen Stempel im Reisepass klar war, dass ich durch das abtrünnige Transnistrien aus Moldawien ausgereist bin. Und ich habe gelesen, dass dies zu Problemen führen könnte. Für mich aber nicht. Einen Stempel im Reisepass erhalte ich von der rumänischen Seite aber nicht, da sie ja in der EU sind, da gebe es keine Stempel. Weil ich aber schon zig Stempel von EU-Ländern habe, gehe ich davon aus, dass dies im Ermessen des jeweiligen Stemplers liegt. Die 2 Kilometer zwischen der ukrainisch-moldawischen und der moldawisch-rumänischen Grenze sind ein Kinderspiel: Es geht nur bergab. Bei der Grenze nach Rumänien bin ich ebenfalls gleich durch. Dort angekommen erhalte ich zum Ausgleich für meine Dummheit bei der Suche nach der Taschenlampe ein Geschenk: eine ziemlich hell leuchtende große Sternschnuppe, die direkt vor mir über der Stadt niedergeht.

 

 

 

Galați

Gaby (männlich, 25) unterstützt mich sehr bei der Suche nach einem Geldautomaten und einer Unterkunft, nur redet er ein bisschen viel, ist zu hilfsbereit und warnt mich immer wieder vor den Gefahren. Vor allem die Roma bzw. Țigani, wie er sie nennt, seien DAS Problem des Landes. Neben der Korruption natürlich. Ich solle keinem von ihnen trauen. Was soll ich da bitte sagen mit meinen bisherigen Reiseerfahrungen, die fast alle positiv waren? Die drei Clubs und Restaurants, die wir aufsuchen, um noch ein Bier zu trinken, schließen alle gerade. Bei sich im Studentenwohnheim kann er mich nicht unterbringen, da sonst die beiden Pförtnerinnen oder sogar die Studienleitung Theater machen würden. Das kann ich gut verstehen, aber wenigstens kann ich mich dort kurz umziehen und wenigstens das Gesicht waschen. So erkundigen wir uns nach Unterkünften. Das Hostel, das uns Taxifahrer empfehlen, liegt auf dem Weg zurück Richtung Grenze im Industriegebiet. Ich bin dort schon vorbeigefahren und werde sicher nicht zurückfahren, da es mir dort definitiv zu viele Hunde gibt. Die beiden Hotels sind für meine Vorstellungen definitiv zu teuer, das Günstigste für 52,-€ muss ich aber nehmen, da es sonst nichts gibt.

Gaby selbst hat keine gute Meinung von seinem Land, nicht zuletzt auch wegen des extrem geringen Gehalts und dem Umstand, dass ich einen solchen Umweg über Galați machen muss, um nach Rumänien zu kommen. Dass es nicht einfach eine Fähre von Izmail nach Tulcea gibt, steht für ihn symbolisch für sein Land.

 

Ich bin eigentlich sehr unzufrieden und unmotiviert im Gegensatz zu den bisherigen Radtouren: das Wetter ist, wie mir viele Bekanntschaften unterwegs bestätigen, seit Wochen zu kalt. Seit Tagen windet es gegen mich und es scheint nicht besser zu werden. Durch die vielen Schlaglöcher muss ich mich immer auf die Straße konzentrieren und kann Landschaft und Architektur nicht genießen. Das ist kein Urlaub, kein Genuss, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Jedenfalls nicht wochenlang. Es strengt sehr an.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 07 Sep 2016 19:25:28

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