Tag 20 - Ankunft an der Nordsee

Tag 20 – MI, 18. Juli 2012: Ankunft an der Nordsee

Rivierenland – Gorinchem – Rotterdam – Hoek van Holland

 

Orientierungslose Fahrt und schlechtes Essen

Um möglicherweise an meiner Schlafstätte erscheinenden Handwerkern aus dem Weg zu gehen, fahre ich schon kurz nach 7 weiter. Die kommende Strecke stelle ich mir leicht vor. Das ist sie aber nicht. Schon an der ersten Kreuzung bin ich überfordert. Und fahre – anscheinend – den falschen Weg. Aber egal, letztendlich werde ich wieder an Stellen ankommen, die mir weiterhelfen. Klar, ich habe mich nicht besonders auf die Reise vorbereitet, Karten nur grob überflogen und Ratschlag gebende Reiseführer überhaupt nicht angeschaut. Und die wenigen Notizen über die Wegstrecke, die ich mir gemacht habe („Kleve/ Nimwegen/ über den Rhein bzw. Waal/ Richtung Leerdam/ Rotterdam/ (Hoek van Holland/) Den Haag“), helfen mir auch nicht weiter. Denn entweder übersehe ich sie oder sie sind völlig unbedeutend. Wenigstens kann ich durch mein Unwissen überall neue Überraschungen erwarten.

Kurz vor 12 erreiche ich Gorinchem. Die Suche nach einer Apotheke erweist sich dort als ziemlich schwer. Der Fehler liegt aber an mir: Ich suche nach einem Apothekenschild, wie ich es von vielen Ländern gewohnt bin. Dieses wird in den Niederlanden aber nicht benutzt, wie ich später herausfinde. Macht aber nichts, denn die Fahrt durch die Geschäftsstraßen der Altstadt, die von Wasser umgeben ist und dazu noch nord-südlich durch einen Fluss getrennt wird, ist sehr schön. Einiges erinnert mich ans Zentrum von Brighton (England) – die verspielte Architektur, Straßencafés und eine angenehme Atmosphäre. Den ausschlaggebenden Ratschlag erhalte ich schließlich im Touristenbüro am Marktplatz. Darauf gehe ich in ein Restaurant. Allerdings hätte ich mir das sparen können. Das dortige Essen ist – für meinen Geschmack – schrecklich. Und ich bin nicht gerade anspruchsvoll. Ich kann mich nicht erinnern, schon mal so ein schlechtes Schnitzel, Pommes und Salat gegessen zu haben. Hier hat das Bier wirklich dazu gedient, den Geschmack des Essens zu überdecken. Und nicht mal das hat viel geholfen – ich hab aus Versehen ein Weißbier bestellt, was ich normalerweise nie trinke. Immerhin ist am Schluss der Hunger gestillt.

 

Ticketkauf in Rotterdam

Weiter geht die Fahrt, die mich gegen 16 Uhr nach Rotterdam führt. Diese Stadt ist für mich aber kein Ziel, sondern nur ein Durchfahrtsort, aus dem ich nach gut zwei Stunden wieder raus bin: Beim erfolglosen Versuch, etwas Schönes oder gar Historisches zu finden, wird offensichtlich, dass diese Stadt im Zweiten Weltkrieg immens zerstört worden sein muss. Die enorme Anzahl an Hochhäusern, recht jungen Bürogebäuden und breiten Straßen erschreckt mich. Die Straße, deren Beschilderung immer wieder auf ein angebliches Zentrum hinweist und dem ich auch folge, endet, ohne dass ich irgendetwas Reizvolles gesehen habe.

Ursprünglich wollte ich am Ende der Tour wenigstens eine Nacht in Rotterdam und/ oder Den Haag verbringen, aber das Regenwetter hat mir die Lust darauf genommen. Für morgen gilt also: Nichts wie zurück nach Basel! Somit beschränkt sich meine einzige Aktivität in Rotterdam auf den Erwerb eines Tickets für die Heimfahrt. Der Weg zum Bahnhof Rotterdam ist – mit einem Fahrrad – etwas umständlich. Und die Wartezeit ist sehr lang, jedenfalls wenn man am Schalter für Fahrten in die Nachbarländer steht. Wie bei der Hinfahrt mit dem Zug zum Oberalppass ist hier das Rad das Problem: Sie werden weder von ICEs noch von TGVs transportiert. Und damit wird es recht schwierig, eine anständige Verbindung zu finden. Dazu kommt, dass bei einigen Zügen die Reservierungen schon ausgebucht sind – trotz des radfahrerunfreundlichen Wetters. Zudem will mich die Angestellte über Stuttgart und Straßburg nach Basel schicken. Ich versuche ihr klarzumachen, dass diese Verbindung nicht gerade zweckmäßig ist. Aber sie hat wenig Ahnung und ist nach wenigen Minuten ohnehin genervt. Ich habe das Gefühl, sie arbeitet noch nicht lange an diesem Schalter. Letztendlich erhalte ich aber für morgen früh ein Ticket und kann raus aus Rotterdam.

 

Unterkunft
Unterkunft
Gorinchem
Gorinchem
nicht immer radfreundlich
nicht immer radfreundlich
Rotterdam
Rotterdam
Rotterdam
Rotterdam
Rotterdam Centraal (Hauptbahnhof)
Rotterdam Centraal (Hauptbahnhof)
mit Mathijs
mit Mathijs
Schafe
Schafe


Fahrt an die Nordsee

Richtung Den Haag gibt es wohl gibt einen direkten Radweg an einem Fluss entlang. Das Problem ist, wie so oft, wenn man aus einer größeren Stadt raus will, den richtigen Weg zu finden. Zum Glück kann mir Mathijs, der an einer Tankstelle arbeitet, weiterhelfen. Den Rhein habe ich, so wurde mir gestern gesagt, schon „verloren“ – irgendwo ist er in die Waal bzw. Neu-Waal übergegangen. Allerdings kommen mir hier wieder die ungenauen Wegbeschreibungen, die fehlenden Beschilderungen wie auch meine Vergesslichkeit zugute: Auf einmal stoße ich nicht nur auf den erhofften Wegweiser nach Den Haag, sondern auch auf den nach Hoek van Holland. Das Rheinende liegt nun also 25 km vor mir. Wieso also nicht den kleinen Umweg machen? Auf dem Weg dorthin und nach Den Haag kann wirklich nicht viel schiefgehen – der erste Weg geht dem Fluss entlang nach Westen, der andere der Küste entlang nach Norden.

Die Fahrt geht also weiter zu einem der Orte, an denen der Rhein in die Nordsee mündet. Der Rotterdamer Hafen, den ich dabei entlang fahre, scheint endlos lang zu sein. Vielleicht so lang wie alle anderen zusammen, die ich auf der bisherigen Fahrt durchfahren habe. Direkt dahinter liegen nicht nur Tank- und Industrieanlagen, sondern auch die ganzen Gewächshäuser der Niederlande. Die Strecke endet gegen 21 Uhr in Hoek van Holland, wo der Rhein in die Nordsee mündet. Ich bin also am Zielort angekommen. Wirklich zufrieden bin ich aber nicht. Denn das Wetter hat sich – entgegen der seit Beginn der Tour gehörten Nachrichten, es werde in ein bis zwei, spätestens in drei Tagen trockener, nicht verbessert. Im Gegenteil: 

 

Erneut Regen und weiterhin Mangel an Gastfreundschaft 

Leider komme ich wenige Minuten zu spät, um ein kurzes Bad in der Nordsee zu nehmen – zum Wind hat sich inzwischen der Regen dazugesellt. Tatsächlich ist heute der verregnetste Abend bzw. Nacht seit meinem Tourenstart. So stelle ich meinen verschwitzten und verklebten Körper lieber unter eine Dusche am Strand, um mir gleich darauf frische Klamotten anzulegen. So weit, so gut. Der nächste Gedanke: „Heute muss ich überdacht unterkommen!“ Nachdem ich mir ein dönerähnliches Essen gegönnt habe – der Zubereiter arbeitet hier den ersten Tag und macht seine Arbeit gut, fahre ich die Clubs am Strand ab. Eigentlich bin ich kein großer Fan von Clubs, aber hier gibt es kaum etwas anderes. Eine „normale“ Kneipe ist hier nicht zu finden. Wie ich von dem jungen Angestellten erfahre, waren hier am Strand bis vor ein, zwei Jahren viel weniger Gebäude. Wie dem auch sei, all meine Fragerei, mein sympathisches Auftreten, mein gepflegtes Aussehen und die Darstellung meiner Bedürfnisse helfen nicht weiter. Weder der junge Bursche im Dönerladen, der wohl einen Hotelchef kennt, noch die netten Bedienungen in einem der Clubs können mir weiterhelfen. Interessiert sind sie aber alle mehr oder weniger. „Hm, ein netter junger Mann, ganz allein unterwegs, wie mutig! Und der sucht nun eine Schlafstätte, Hauptsache ein Platz, an den es nicht reinregnet. Wie toll, fast wie in einer Abenteuergeschichte! Aber ich habe ihm leider kein Angebot, ich kenne ihn ja nicht.“ Hä? Wo ist da bitte die Gastfreundschaft, die ich vor fünf Jahren so intensiv erlebt habe? Wirke ich nach dieser Zeit von fünf Jahren  etwa zu unsympathisch, zu fremd, zu unglaubwürdig? Oder liegt es vielleicht an dem Kulturkreis, in dem ich mich gerade befinde? Sind die Menschen entlang der Donau, in der Türkei und im Nahen Osten einfach gastfreundlicher, haben mehr Vertrauen in Fremde? Liegt das vielleicht daran, dass in den Gebieten, die ich bereist habe, viel weniger Radfahrer bzw. andere Touristen sind als hier und man denen grundsätzlich eher vertraut? An der Religion (wenn man sie nicht zu genau differenziert) kann es nicht liegen – ich wurde damals von Christen, Moslems und Juden aufgenommen. Am Alter kann es auch nicht liegen – ich wurde damals von Jungen, von Pärchen, von Familien, von Älteren aufgenommen. Na ja, vielleicht liegt es ja am Wetter der diesjährigen Tour.

 

Besuch von der Polizei

So fahre ich die Clubs und Lokale am Strand ab, aber entweder haben diese keine zugängliche Überdachung oder der Wind weht den Regen dann doch hinein. So fahre ich das Gelände zwei Mal ab, um vielleicht doch noch einen Unterschlupf zu finden. So eine blöde Situation hatte ich während der 20 Tage nicht. Schließlich stoße ich auf ein Restaurant mit einem überdachten Eingang und mache es mir dort „gemütlich“. Da ich mich nach den Schilderungen des jungen Mannes in Bezug auf Diebstähle in der Nacht nicht ganz sicher fühle, verbarrikadiere ich mich eher: Ich schlafe direkt an der Tür, zwischen die Stellwände stelle ich mein Rad und davor die Werbetafeln des Restaurants. Das sollte sicher sein. Ich bin aber nicht der Einzige, der sich hier um Sicherheit sorgt: Der junge Mann hat mir zuvor auch berichtet, dass die Polizei regelmäßig das Gelände abfahre. Dass sie das heute Nacht bei dem Regen auch tun werden, konnte ich mir aber nicht vorstellen. Die jungen Beamten im Jeep tun ihre Arbeit aber pflichtgemäß. So erkennen sie meine Einrichtung und befragen mich nach meiner Herkunft und Plänen. Ein bisschen befürchte ich, dass sie mich fortschicken und ich eine neue Unterkunft suchen muss, denn schließlich erzählen sie mir von einem Hotel im nächsten Ort. Aber der junge Mann und die junge Frau sind nett und sagen, dass ich bei dem Regen nicht dorthin fahren und mich bei dem kalten Regenwetter erkälten brauche und hier vor Ort bleiben kann. Aber natürlich nur ausnahmsweise.

 

 

Tipps für andere Reisende:

-       Nationaal Park De Biesbosch

       -       Rotterdam: die an einer Hand abzählbaren Gebäude, die den 2. Weltkrieg überstanden haben

 

Maassluis
Maassluis
die letzten Meter am Nieuwe Waterweg bzw. Rhein
die letzten Meter am Nieuwe Waterweg bzw. Rhein
Hoek van Holland, vor der Nordsee
Hoek van Holland, vor der Nordsee
Dusche
Dusche
Nieuwe Waterweg, Industrieanlagen
Nieuwe Waterweg, Industrieanlagen
Unterkunft
Unterkunft
   
Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 07 Sep 2016 18:43:22